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Lehrermangel

Kampf dem Lehrer/innen-Mangel! KMK-Pläne in verständlicher Sprache erklärt 28.01.2023, 14:30

Übermäßig viele Schüler/innen in großer Klasse blicken traurig
Bild: DALL·E 2 / Nightcafe.Studio / @bnetz

Seit Jahren hat sich ein Mangel an Lehrer/innen angekündigt. Im Januar 2023 schrecken die Kultusminister/innen auf und veröffentlichen »zeitliche befristete Notmaßnahmen«. Die Formulierungen sind beschönigend, wir helfen Ihnen beim Verstehen.

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Die SWK (der wissenschaftliche Beirat der Kultusministerkonferenz/KMK) gab am 27. Januar 2023 bekannt:

Es wird künftig kaum möglich sein, genügend Lehrkräfte auszubilden.

Die Politik streicht kaltblütig die Segel. Das Problem kündigt sich seit einigen Jahren an, trotz wiederholter Mahnungen der Lehrerverbände ist nichts geschehen. Durch diesen lapidaren Satz wird die Vergangenheit vom Tisch gewischt, Frisch auf, den Blick nach vorn, geschwind ein paar Notmaßnahmen zur Hand!

Die »Notmaßnahmen« im Überblick

Die »Empfehlungen auf einen Blick« sind nicht in Alltagssemantik formuliert - deshalb klingen sie schön und man versteht sie nicht genau. Man fühlt sich ein bisschen an ChatGPT erinnert (Die Lügen des ChatGPT).

Wir erklären Ihnen die unklaren Punkte in verständlicher Sprache. Alle Zitate aus der Pressemitteilung der KMK (KMK 27.01.2023: Einsatz optimieren, Bedarf senken: SWK empfiehlt zeitlich befristete Notmaßnahmen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel).

1. Größere Klassen

Wird als »Anpassung der Klassenfrequenz« bezeichnet. Dass hier nicht das Wort »Klassengröße« steht, verrät schon alles.

Dies ist die schnellste und billigste Möglichkeit, das Problem des Lehrerkräftemangels zu bekämpfen. Heben wir einfach den Klassenteiler auf 33. Oder 34.

Die Professor/innen, die diese Vorschläge gemacht haben (Liste der Mitglieder der SWK), verweisen auf Studien, nach denen die Klassengrößen »eher gering[e]« Auswirkungen auf den Lernerfolg haben. Da die Expert/innen selbst eher wenig Erfahrungen mit dem operativen Unterrichtsbetrieb haben, wissen sie nicht:

  • Unterricht mit steigender Klassengröße wird zwingend schlechter. Alle Lehrer/innen und Schüler/innen wissen das, was immer auch Studien ergeben.
  • Die Belastung der Lehrer/innen steigt mit größeren Klassen exponentiell.
  • Das zunehmend wichtige außerunterrichtliche pädagogische Geschäft (Elterngespräche, Mobbing-Prävention usw.) leidet unter größeren Klassen.
  • Keine Chance für individuelle Förderung bei Monsterklassen.

2. Hybridunterricht

Für die Oberstufe schlägt die SWK vor, hybride Unterrichtsformate und Selbstlernzeiten systematisch einzuführen.

Alle Lehrer/innen, die während der Corona-Schulschließungen schon einmal Hybridunterricht gemacht haben, werden nun herzlich lachen müssen. Hybridunterricht funktioniert nämlich für die besseren 10-15 Prozent der Schüler/innen. Das untere Drittel fällt gnadenlos durch. (Aber vielleicht ist das ja auch der Plan, nachdem in den letzten 20 Jahren die Studierendenzahlen gewalttätig nach oben gedrückt wurden und wir jetzt vor einem gewaltigen Fachkräftemangel im Handwerk stehen.)

Der Hybridunterricht könne nur funktionieren, wenn Schüler/innen »vorher Kompetenzen zum Selbstlernen« erwerben und »auf hochwertiges Material zurückgreifen können«. Dies impliziert langfristige Pläne, und die Empfehlung müsste nicht »Ausweitung von Hybridunterricht« heißen, sondern »Förderung der Selbstlernkompetenzen«. Dauert aber zu lang, da der Lehrer/innen-Mangel ach so plötzlich kam.

Auch das könnte übrigens als versteckte Erhöhung der Klassengröße verstanden werden. Plötzlich habe ich nicht nur 30 Schüler/innen im Klassenraum vor mir, sondern noch 30 weitere, die zugeschaltet sind, weil Kollege Z einem Burnout erlegen ist. Ups.

3. Entlastung der Lehrer/innen bei »Aufgaben jenseits des Unterrichts«

Das klingt so gut! Mit einem Fachinformatiker, der unterm Strich ein Drittel so viel kostet wie ein/e Lehrerin, können mehrere Schulen im technischen Schlaraffenland leben - und kein/e Lehrerin müsste mehr dem Beamerkabel hinterher rennen und sich darum kümmern, dass das iPad sich nicht mehr aufs Apple TV spiegeln lässt. Eine einzige Verwaltungsfachangestellte könnte an drei Schulen Entschuldigungswesen, Abmahnungen, Zeugnisse, Angebote … erledigen und dadurch nicht nur für immense Entlastung sorgen, sondern auch Unsummen einsparen, da keine Deputatsstunden mehr für solche trivialen Arbeiten verschwendet werden müssten.

Wir könnten auch eine Kopierkraft einstellen und sie überdurchschnittlich gut bezahlen. Für ein Nasenwasser (gemessen an dem, was sonst in Schulen an Personalkosten verschwendet wird), wird ersparen Lehrer/innen massive Rennerei und Hektik erspart.

Hier sollten wir nicht zu viel erwarten. Das Problem ist seit Jahrzehnten bekannt, die Lösung hat jedoch einen Schönheitsfehler: Für die Finanzierung solcher Jobs durch Deputatsstunden muss man kein Geld in die Hand nehmen. Man stellt lediglich nach einigen Jahren fest, dass man zu wenig Lehrer/innen für das eingesetzte Geld hat. Die Einstellung von o.g. Fachkräften hingegen kostet direkt jetzt echtes Geld.

Deshalb vielleicht ist in der KMK-Pressemitteilung hintergründig die Rede davon, dass diese Entlastung  »durch Studierende und andere, formal nicht (vollständig) qualifizierte Personen« erfolgen soll. Vielleicht sollte hier der Begriff »Mindestlohn« ergänzt werden.

4. Neues Personal akquirieren

Ruheständler/innen zurückholen

Gute Idee. Aber irrelevant. Wer kommt schon für einen lächerlichen Stundensatz (er wird lächerlich sein) auf die Galeere zurück?

Mehr Seiteneinsteiger/innen

Seit Jahrzehnten schafft es die Politik systematisch nicht, in der Lehrer/innen-Ausbildung antizyklisch zu agieren. Wenn es zu wenig Lehrer/innen gibt (sei es bezogen auf Bundesländer, Schulformen, Schulfächer), greift man gerne auf Quereinsteiger/innen zurück. Das muss nicht zwingend schlecht sein. Allerdings brauchen Quereinsteiger/innen eine fundierte pädagogisch-didaktische Ausbildung - das lässt sich nicht in einem Crashkurs an drei Wochenenden erledigen. Deshalb steht da auch »Bestandsaufnahme, Bewertung und Weiterentwicklung von Modellen des Quer- und Seiteneinstiegs« - erfahrungsgemäß wird bei verschärftem Mangel dann doch jede/r genommen, die nicht bei »Drei« auf dem Baum ist.

Die Gefahr besteht vor allem darin, dass sich Personen für den Quereinstieg interessieren, die 

  • bei möglichst vielen Ferien möglichst wenig arbeiten arbeiten wollen, oder
  • in ihrem Job versagen und jetzt eine Neuorientierung suchen.

Bei weitem nicht alle Quereinsteiger/innen sind so. Aber ohne ordentliches Umschulungskonzept wird man sich hier möglicherweise neue Probleme ins Boot holen.

5. … und mehr

Einigermaßen klar und wahrscheinlich in der zukünftigen Praxis ziemlich unbedeutend:

  • Gymnasiallehrer/innen sollen auch in anderen Schulformen arbeiten - Hier warten wir erst mal auf das in einem Wort genannte Konzept der »Weiterqualifizierung«
  • Vorbeugende Maßnahmen zur Gesundheitsförderung - Wichtig, wird sich wahrscheinlich auf ein paar schablonenhafte Fortbildungsangebote von Schulamtsmitarbeiter/innen beschränken.
  • Einschränkung von Teilzeitmöglichkeiten - Die zahlreichen mit acht Deputatsstunden beschäftigten erziehenden Väter oder Mütter sollen mehr arbeiten, indem das Mindestdeputat erhöht wird. Wird wohl aufgrund der zahlreich zu erwartenden Gleichberechtigungsklagen nicht geschehen.

Und jetzt?

Als Lehrer/in: Sofort in eine Lehrer/innen-Gewerkschaft eintreten, falls noch nicht geschehen und so viel Druck machen wie möglich. Beten.

Als (zukünftige Eltern): Sofort alle Register ziehen (Demos, Vereine, Aktionen). Sie wollen nicht, dass ihr Kind in einer 35er-Klasse von einem eigentlich pensionierten Quereinsteiger in Geschichte unterrichtet wird.

Als Kultusminster/in: Füße still halten. Warten, bis die Lehrer/innen-Demos vorbei sind, versprechen, dass keine Veränderungen geplant sind. Dann alle Notmaßnahmen umsetzen (Klassengrößen erhöhen, alle greifbaren Seiteneinsteiger/innen sofort einsetzen, Hybridunterricht anordnen etc.). Wenn die negativen Effekte eintreten (Verschlechterung der Lernerfolge, mehr Schüler/innen ohne Abschluss, hohe Burnout-Quoten bei Lehrer/innen etc.), sind Sie nicht mehr im Amt und müssen sich um diese Probleme nicht mehr kümmern.

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Kommentare

6

Zum Artikel "Kampf dem Lehrer/innen-Mangel! KMK-Pläne in verständlicher Sprache erklärt".

  • #1

    Mal eine kleine Vignette aus dem Lehrermangelland Österreich: Die Bildungsdirektion des Landes Vorarlberg zieht bereits seit einiger Zeit mit der Verlockung eines Gehalts unsere Drittsemester aus dem Studium ab, um sie in die Schulen zu schicken. Die Folge ist klar: die Ausbildung leidet extrem darunter, die Kompetenzen der “Jung-Lehrer:innen” sind mangelhaft (kann ja gar nicht anders sein!), die Einbindung in die Schule wird natürlich als belastend empfunden, die nötige Qualifikation im Masterstudium wird umgangen (“Wir sind ja schon in der Schule, das ist alles so anstrengend!”), damit stehen diese nicht “fertigen” Lehrkräfte auf einem Abschussposten ohne gesichterte Perspektive und geringerem Gehalt (da der Abschluss fehlt…). Dann geh mal hin und mache Werbung für den Beruf der Lehrenden! Und mir geht zwischendurch als Professor einfach mal die Luft aus, da ich mit den didaktischen Unterweisungen nicht mehr hinterherkomme. Ein Beispiel? Wegen einer (1!) Quereinsteigerin muss ich die normale Vorlesung (Grundlagen der Literaturdidaktik, als Vorlesung eh ein seltsames Konzept…) statt zweistündig nun zweiwöchig vierstündig anbieten. Rhythmisierung? Indiviualisierung? HPU? Da spottet die Struktur den gewünschten Inhalten, Hauptsache, es funktioniert. Tut’s aber nicht. Oder wollte irgendjemand der hier Lesenden vier Stunden am Stück den gleichen Typen vor der Nase haben? Etwas monochrom, das.
    So geht’s jedenfalls nicht.

    schrieb Andreas am

  • #2

    Es gäbe noch andere Möglichkeiten den Lehrermangel zu reduzieren:
    Dozierende an den Pädagogischen Hochschulen müssten selbst immer einige Wochenstunden in der Volksschule unterrichten. Dadurch wird ein Teil des Lehrermangels durch hochprofessionelle Fachkräfte kompensiert. Damit zeigen sie, dass sie selbst beherrschen, was sie lehren und wirken dadurch glaubwürdiger. So lassen sich auch Sprüche vermeiden wie z.B. „If you can’t reach it, teach it.“ Die Wahrscheinlichkeit würde steigen, dass Reformen auch praxistauglich sind. Als Folge würde auch der Anteil der Junglehrer sinken, die nach dem Berufseinstieg schnell wieder aussteigen.
    Ebenso sollten Schulleitungen und Rektoren immer einige Wochenstunden selbst unterrichten müssen, damit sie praxisnäher führen können.

    schrieb Felix am

  • #3

    Lehrermangel ist wie Weihnachten. Beides kommt immer ganz plötzlich und erwartet. ;-)

    schrieb Frank am

  • #4

    Demonstrieren interessiert die Politiker nicht. Remonstrieren wirkt! Streiken noch mehr! Da sind die Gewerkschaften gefragt. Zurzeit ist es leider so, dass die Beiträge für das, was die Gewerkschaften leisten, zu hoch sind. Andererseits haben sie ja die für die Kinder(und Lehrer) nachweislich schädigenden so genannten Coronamaßnahmen mitgetragen und sogar unterstützt! KinderSCHUTZ sieht anders aus!
    Also, Gewerkschaften: Aktiv FÜR Kinder und Lehrer einsetzen, dann gibt es vielleicht auch mehr Mitglieder. Nicht umgekehrt!

    schrieb Ettenna am

  • #5

    Jedes Wort wahr (NagelaufKopftreff). Leider.

    schrieb Jossi am

  • #6

    Nun was jahrelang der Nichtbeachtung ausgesetzt war soll jetzt mit Hauruck und strammer Haltung verschleiert werden !

    schrieb Walter am

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