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Die Lösung heißt: OER

Schulbücher - wie man es besser machen könnte 26.02.2013, 22:19

Creative-Commons-Logo mit Hammer und Sichel
Bild: creativecommons.org / wikimedia commons (Montage)

Mehr als 200 Millionen Euro gibt der Staat jährlich für Schulbücher aus. Der Streit um das Urheberrecht und die Digitalisierung von Schulbuchinhalten wird immer bizarrer. Wir zeigen, wie man das Problem vollständig lösen und dabei Hunderte von Millionen Euros sparen kann. Einzige Voraussetzung: Ein bisschen Mut seitens der Politik.

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  • (geändert: )

Lehrer/innen müssen zahlreiche Unterrichtsmaterialien herstellen: Arbeitsblätter, Klassenarbeiten, Handouts, Skripte, Zusammenfassungen ... Selbstverständlich arbeiten sie damit nicht mehr mit Schere und Kleber, sondern mit Scanner und Software (z.B. Word).

Nun ist die Schulbuchlobby (verständlicherweise) überhaupt nicht daran interessiert, dass ihre Materialien digitalisiert und dann in die freie Wildbahn entlassen werden. Deshalb nehmen sie in Kooperation mit den Kultusminister/innen Einfluss auf die Gestaltung des Urheberrechts, indem sie die verantwortlichen Politiker/innen in den Schwitzkasten nehmen. Relevant sind der  Gesamtvertrag zur Einräumung und Vergütung von Ansprüchen nach § 53 Urheberrechtsgesetz (UrhG) und die zugehörige Ergänzungsvereinbarung.

In letzter Zeit sind in diesem Kontext einige unschöne Dinge passiert:

  • Gemeinsam mit den Kultusminister/innen wollte man sämtliche Schulrechner ausspionieren (Schultrojaner), was dann unter dem Druck der aufgebrachten Öffentlichkeit rasch abgeblasen wurde.
  • Dann wurden die Schulleitungen in einigen Bundesländern dazu aufgefordert, Erklärungen über illegale "Digitalisate" im Schulnetz abgeben zu lassen. Dies wurde abgeblasen, als der Gesamtvertrag zwischen KMK, Schulbuchverlagen (aka Verband Bildungsmedien) und Verwertungsgesellschaften neu beschlossen wurde.
  • Jetzt darf man Unterrichtsmaterialien plötzlich doch digitalisieren - allerdings nicht über Netzwerke wie Lehr-Lern-Plattformen verteilen (Moodle-Verbot), was natürlich angesichts der vorhandenen technologischen Infrastruktur völlig daneben ist.

Allein die Tatsache, dass solche doch sehr weit reichenden Beschlüsse überaus rasch wieder zurückgenommen werden, zeigt, wie sehr die Verantwortlichen ohne Plan und Verständnis handeln.

Die Schulbuchverlage im Verband Bildungmedien sind aus ökonomischen Gründen und völlig nachvollziehbar daran interessiert, ihr Geschäftsmodell zu konsolidieren. Das kann nur über massive Verbotsstrategien geschehen. Für die Schulbuchverlage ist der Status Quo deshalb erfreulich: Ihre Materialien sind recht effektiv gegen Piraterie geschützt, außerdem wird die eigene E-Schulbuch-Infrastruktur digitale-schulbuecher.de gestärkt (die solche Monopolvorteile noch gut gebrauchen kann, denn das Konzept ist überaus altbacken, siehe hier oder hier).

Bei den Entscheidungen der in der KMK zwanglos organisierten Kultusminister/innen hingegen kann man sich nur erstaunt die Augen reiben. Diese Personen wurden von uns gewählt, um Bildung zu ermöglichen und zu verbessern. Doch sie scheinen in erster Linie die Rechte der Schulbuchverlage zu vertreten. Ein juristischer Streit mit einem großen Schulbuchverlag oder dem Verband BIldungsmedien könnte einer Kultusminister/in die Wiederwahl versauen.

Die Kultusminister/innen schaffen Bedingungen, die für die Schulbuchverlage gut sind, die Bildung jedoch behindern.

Jüngstes Beispiel ist das Moodle-Verbot. Es ist selbstverständlich auch der KMK und ihren Minister/innen klar, dass man unter den von ihnen geschaffenen Bedingungen nicht ordentlich arbeiten kann.

Wie alles besser wäre: Der Staat entwickelt freie Bildungsmaterialien (#OER)

Wollten die Kultusminister/innen wirklich besseren Unterricht, würden sie einen Teil des Geldes nehmen, das jährlich den Schulbuchverlagen zufließt, und damit selbst freie Bildungsmaterialien erzeugen. Damit sind nicht nur die lächerlichen 9 Millionen Vergütung gemeint, sondern auch die Anschaffungskosten für Schulbücher. Die öffentlichen Schulbuchausgaben lagen 2007 bei 224 Millionen Euro (Quelle (PDF)), insgesamt wurden 2008 für Schulbücher und Lernsoftware in Schulen 434 Millionen Euro ausgegeben (Quelle (PDF)). Der Bildungshaushalt der BRD beträgt für 2013 mehr als 13 Milliarden Euro.

Kurz: Würde man keine Schulbücher mehr von privatwirtschaftlichen Unternehmen kaufen, hätte man jährlich deutlich mehr als 100 Millionen Euro zur freien Verfügung (für den Rest kaufen wir Atlanten, Wörterbücher, Übungshefte usw. und verwalten das Ganze ein wenig).

Polen entwickelt für 11,5 Millionen Euro vollständige und freie Unterrichtsmaterialien für die Klassen 4 bis 6 - was könnte man mit dem Geld anstellen, das jährlich für Schulbücher ausgegeben wird? Für einmalig 200 Mio. Euro (also der Betrag, der jedes Jahr für Lehrmittel ausgegeben wird) könnten für sämtliche Fächer, Schularten und Schulstufen freie und erweiterbare Unterrichtsmaterialien entwickelt werden. Lehrer/innen könnten möglicherweise ihr eigenes, gutes, sinnvolles, aktuelles Unterrichtsmaterial einbringen, und einige oder vielleicht sogar viele würden mithelfen (cf. 4teachers, cf. ZUM-Wiki, cf. Schulbuch-O-Mat). Man hätte weiterhin kaum Folgekosten: Mit den 9 Mio., die aktuell den Schulbuchverlagen gezahlt werden, wären Publikationskosten, Aktualisierung und Qualitätskontrolle zu bestreiten; nach einigen Jahren der Umstellung hätte der Staat ein jährliches Plus von rund 100 Millionen Euro.

Leider gibt es einen Haken: Sämtliche Verleger und Autoren von Unterrichtsmaterialien würden empfindliche Umsatzrückgänge hinnehmen müssen, bei den großen Verlagen wären Stellenstreichungen erforderlich. Betroffen wären insgesamt mehrere tausend Personen. Das geht natürlich so nicht.

Aber durch eine kleine Umstrukturierung ist das Problem leicht zu lösen: Der Staat muss lediglich Teile der großen Schulbuchverlage kaufen und die Mitarbeiter/innen in das Konzept integrieren - gerade in den ersten Jahren (Infrastrukturentwicklung, Produktion) ist der Bedarf durchaus gegeben, später können diese Angestellten - die ja alle im Bildungsthema kompetent sind -  bspw. neue, aktualisierte Materialien entwickeln oder bei der Portierung auf andere Medienformen mitarbeiten. Selbst wenn sie gar nichts arbeiten, sondern nur herumsitzen, wird es billiger, als jährlich dreistellige Millionensummen für neue Lehrmaterialien auszugeben.

Man beachte, dass es sich hier nicht um eine sozialistische Aktion handelt. Die Schulbuchverlage werden nicht etwa verstaatlicht, sondern für einen ordentlichen Preis gekauft. So wie der kleine Junge in der Bäckerei ein Schoko-Croissant kauft, so kauft die BRD die Schulbuchverlage. Hat nicht Baden-Württembergs Ministerpräsident Mappus kurz mal den Energieversorger EnBW mit mehr als 20.000 Mitarbeiter/innen für 4,7 Milliarden Euro gekauft (und - schwupp - 840 Millionen Euro zu viel bezahlt, keiner hat's bemerkt)? Am Geld liegt es also auch nicht.

Die Vision ist verlockend: Freie, hochwertige, aktuelle Bildungsmaterialien für alle, jede/r kann sie verändern, weitergeben, damit tun, was er/sie will. Der Staat spart jedes Jahr zig Millionen, die er ins Schulsystem stecken kann. Zu stopfende Löcher gibt es genug.

Liebe Kultusminister/innen, worauf wartet ihr noch?

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Kommentare

8

Zum Artikel "Schulbücher - wie man es besser machen könnte".

  • #1

    Leider stoßen derartige Vorschläge auf taube Ohren. Gerade durch die Lehrmittelfreiheit in Sachsen dachte ich, wäre hier jetzt der Wille da, sich in Richtung OER-Lehrmaterialien zu bewegen – ist er nicht. Das Trauerspiel habe ich hier zusammengefasst: http://anjalorenz.wordpress.com/2012/12/16/sachsen-und-oer-nette-idee-aber-die-politik-ist-wohl-noch-nicht-so-weit/

    Bottom-Up-Initiativen wie Schulbuch-O-Mat sind bewundernswert und ich habe sie auch mit unterstützt, aber es ärgert mich immer wieder, dass diese nötig sind. Sie kosten viel Kraft, das Beschaffen finanzieller Unterstützung ist anstrengend und am Schluss rühmen sich dann meist sogar die Politiker mit “ihren” engagierten Projekten der Lehrer ihres Landes/Stadt… Dabei wären zentrale Projekte so viel einfacher und weitreichender.

    schrieb Anja Lorenz am

  • #2

    Ein sehr schöner Beitrag. Wünschenswert!

    schrieb Jan am

  • #3

    Schade, dass die verantwortlichen Kultusminister so altbackene Vorstellungen haben, dass sie vermutlich nie im Leben solche Artikel lesen würden.

    schrieb Benjamin am

  • #4

    Ach so, Privatisierung ist mal wieder die Lösung aller Probleme: Denn die Schulbücher werden ja von staatlicher Stelle hergestellt und ausgegeben, um das Volk zu kontrollieren und seiner Freiheit zu berauben. Und der Markt könnte das ja alles besser machen, das sieht man ja an den Finanzmärkten. Oder den Energiemärkten. Oder Wohnungsmärkten. Oder Arbeitsmärkten. Oder oder oder.

    Und wie gut privatisierte Bildung funktioniert, können wir in den USA bestaunen: Exzellente Bildung für eine kleine Schicht, die es sich leisten kann - der Rest darf aus einem unterfinanzierten und katastrophalen öffentlichen Trog fressen oder hat halt gar nichts in der Hand. Garniert wird das Schreien nach Privatisierung dann noch von einem gedankenlosen Huldigen an dei angebliche Unfehlbarkeit des Marktes und des Wettbewerbs (Fachliteratur würde hier heilend wirken). Aber vielleicht ist das ja auch die eigentlich Motivation liberaler Prediger wie Ole Bräsig: Die Konsolidierung von Macht zbd Geld (denn nur darum geht es, wenigstens so ehrlich könnte man doch sein, Herr Ole Bräwig?) in den Händen einer kleinen, wohlhabenden Schicht, während der Rest im untersten Stand verharren darf, aus dem es auch kein Entwischen mehr gibt. Wie praktisch.

    schrieb Eckbert am

  • #5

    Mit Privatisierung ist hier die Herstellung in der eigenen Organisation für den eigenen Gebrauch gemeint. Ich stehe nicht mehr am Kopierer und ... Die Organisation stellt mir und meinen Schülern das erforderliche Material zum Beispiel in Form eines stoffbezogenen Lehrbriefes nach Stoffverteilungsplan zur Verfügung. Kostenlose Nutzung durch die Lehrpersonen in der eigenen Organisation, gebührenpflichtig für Nichtmitglieder. Die Lehrpersonen bestimmen selbst, was sie für ihre Tätigkeit brauchen.
    Das Problem ist doch heute häufig, dass ich auf Grund des beruflichen Drucks den Heilsversprechungen der Verlage glaube, Material kaufe und feststelle, dass ich für meine Tätigkeit davon nur 10 % nutze. Den Rest sehe ich mir nie wieder an. Arbeitsbelastung und Stress bleiben mir aber erhalten.

    schrieb Ole Bräsig am

  • #6

    Also ich arbeite aktiv am Schulbuch-O-Mat mit und lassen Schüler das Biologie Buch interaktiv und multimedial umsetzen. Das hat letztes Jahr bereits mit Schülern aus der Klasse 4 geklappt. Es ist möglich Lerninhalte mit “allen” zu erstellen. Man muss einfach nur anfangen und machen. Tot diskutieren und Gründe finden, etwas nicht zu tun, bringt unser Land und die Menschen nicht vorwärts! Siehe YT Video. Ergebnis der Arbeiten der Schüler Klasse 4:
    https://www.youtube.com/watch?v=Lpx1E9i4Zxc

    schrieb Dirk Küpper am

  • #7

    Ja, das trifft den Nagel auf den Kopf.
    Was allerdings die Privatisierung angeht: Die Herstellung von Unterrichtsmaterialien IST ja fast vollständig privatisiert. Und dies führt dazu, dass die Hersteller Gewinne abschöpfen und sich von offenen Formaten fernhalten. Insofern ist Privatisierung in diesem Bereich nicht nur wünschenswert.

    schrieb Der Lehrerfreund am

  • #8

    Ein Beitrag, der mir aus dem Herzen spricht. Dabei zeigt er nicht das ganze Potential der Idee auf. Um diese Idee zu verwirklichen benötigt man eine Organisation (Bildungsstiftung, Privatschule, …). Die KMK ist keine Organisation, sondern eine bürokratische Verwaltung. Wenn man den Unterschied zwischen Verwaltungsbürokratie (von oben erteilte Aufgaben abarbeiten) und einer Organisation (Ziel und Zweck – hier „lebenslanges Lernen“) begriffen hat, kann man obige Idee verwirklichen und die Fähig- und Fertigkeiten der Mitglieder (angestellte Lehrpersonen) der Organisation entfalten. 
    In einem Dienstleitungsbereich der Bildungsorganisation werden alle Mittel entwickelt und gepflegt, die die Lehrpersonen von Nebentätigkeiten befreien und ihnen zur Nutzung zur Verfügung stehen. Da dieser Dienstleistungsbereich mit Lehrpersonen besetzt ist hat man auch in den zu bildenden Organisationseinheiten vor Ort die Personalreserven, die bei Krankheit oder starken Belastungseinheiten (z.B. Klausuren) unterstützend zur Verfügung stehen. Seit vielen Jahren erleben wir, dass die KMK-Verwaltungsbürokratie nicht in der Lage ist in einem modernen Industriestaat das „lebenslange Lernen“ zu organisieren. Es ist aber nachweisbar, dass einige nichtstaatliche Bildungseinrichtungen trotz Behinderung durch die KMK-Bürokratie hier sehr gute Ergebnisse vorweisen können. Einmal abgesehen von dem Problem, dass obige Gedanken bei vielen Lehrpersonen Ängste auslösen (dabei sehen wir doch in Griechenland, dass die geglaubte Sicherheit am Arbeitsplatz durch eine Verbeamtung nichts Wert ist, wenn es Dicke kommt), gibt es weitere Probleme. Die seit Jahrzehnten gelebte Bildungsverwaltung nach einem „Untertanen-Prinzip“ hat in vielen Bereichen der KMK-Verwaltungsbürokratie dazu geführt,
    dass wir:
    1. keine Führung im System Bildung haben,
    2. keine Teamarbeit im System Bildung haben und pflegen und
    3. keinen (olympische) Wettbewerb im System Bildung kennen. 
     
    Wenn wir uns dann noch Herrn Hattie ins Gedächtnis rufen und wissen/glauben, dass die Lehrpersonen ausschlaggebend für (Gehirn-) Bildung sind, kann man die Schwierigkeiten beim Wandel einer Ministerialbürokratie in eine Bildungsorganisation erahnen.
    Der Wandel hat aber längst begonnen. Die Privatisierung der Bildung ist nicht mehr aufzuhalten. Sie geht aber leider zu langsam voran. Der demografische Wandel wird den Vorgang aber schmerzhaft beschleunigen, so wie es sich Politiker und amtliche Würdenträger noch nicht vorstellen können.
    Wir sollten uns abgewöhnen den Fokus immer auf das Geld zu richten (Es ist ein Problem, die Priorität stimmt aber nicht). Geld vernebelt den klaren Blick. So finden wir nicht die wirkliche Ursache für unsere Unzufriedenheit.
    Wir leben in einer Demokratie. Wir nehmen es aber hin, dass uns Bürokraten wie Untertanen führen und behandeln. So kann man die geistigen Ressourcen von Lehrpersonen nicht aktivieren und Freude an der Arbeit schaffen.

    schrieb Ole Bräsig am

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