Guter Unterricht
Bessere Arbeitsaufträge erteilen 26.06.2023, 11:20
Unterrichtsphasen scheitern häufig daran, dass die Lehrkraft die Arbeitsaufträge nicht angemessen formuliert. Das Misslingen der folgenden Arbeitsphase wird dann in der Regel der Unfähigkeit der Schüler/innen zugeschrieben. Hier finden Sie die fünf häufigsten Fehler und entsprechende Tipps, wie Sie Ihre Arbeitsauftragstechnik verbessern können. Außerdem eine Checkliste zur Selbstevaluation.
Originalartikel vom 06.09.2008, Überarbeitung 26.06.2023
Für Eilige: Wie man Arbeitsaufträge mit geringer Misserfolgswahrscheinlichkeit erteilt
Die folgenden Ausführungen lassen sich so zusammenfassen:
- Verschaffen Sie sich vor der Formulierung jedes Arbeitsauftrags höflich vollständige (!) Ruhe.
- Formulieren Sie Ihre Arbeitsaufträge zuhause wörtlich vor. Lernen Sie sie auswendig. Werfen Sie in schwierigen Fällen den Arbeitsauftrag per Beamer, Folie o.ä. an die Wand.
- Während Sie einen Arbeitsauftrag erteilen, schenken Sie möglichst der ganzen Klasse Beachtung (Faustregel: Sie haben von mindestens einem Drittel der Schüler/innen das Weiße im Auge gesehen).
Abgrenzung: Arbeitsauftrag vs. Frage/Fragetechnik
Wir grenzen Arbeitsaufträge deutlich von Fragen ab. Durch die Formulierung von Fragen will die Lehrperson die Schüler/innen dazu veranlassen, den Unterricht durch verbale Beiträge voranzubringen bzw. ihren Lernfortschritt zu testen. In diesem Sinne sind Fragen meist auf der Sachebene angesiedelt und betreffen die inhaltlich-kognitive Dimension: »Warum weint Winnetou an dieser Stelle?«
Von Fragen dominierte Methoden (v.a.: fragend-entwickelndes Unterrichtsgespräch, gelenktes Unterrichtsgespräch) sind in ihrer Berechtigung umstritten, da die Schüler/innen in dieser Unterrichtsform oft nur als »Stichwortgeber/innen« von der Lehrkraft manipuliert werden, um allen das Gefühl zu geben, Lernfortschritte zu machen. Die Fragetechnik steht daher nicht im Mittelpunkt dieses Beitrags.
Die 5 häufigsten Fehler bei der Formulierung von Arbeitsaufträgen - und wie man es besser machen kann
Bei der Unterrichtsbeobachtung fällt auf, dass ein Großteil aller misslungenen Unterrichtsphasen auf misslungene Arbeitsaufträge zurückzuführen ist - was der Lehrperson in der Regel nicht bewusst ist. Die meisten Lehrpersonen haben ein spezifisches Fehlerprofil bezüglich misslungener Arbeitsaufträge, d.h. 70% der Arbeitsaufträge sind einem oder zwei Fehlertypen zuzuordnen.
Die Beispiele in der folgenden Auflistung entstammen alle realen Unterrichtssituationen; inhaltlich wurden der Anonymisierung wegen unwesentliche Änderungen vorgenommen.
Fehler 1: Arbeitsaufträge werden zu vielschrittig formuliert (»Kettenarbeitsauftrag«)
Beispiel:
»Schlagt das Buch auf Seite 347 auf und schaut euch das Diagramm an. Überlegt euch, worum es da geht und welche Erkenntnisse ihr dem Diagramm entnehmen könnt. Macht euch bitte Notizen. Besprecht die Notizen mit eurer NachbarIn und schreibt gemeinsam eine kurze Zusammenfassung, welche Erkenntnisse ihr diesem Diagramm entnommen habt. Die besprechen wir dann nachher.«
Warum dieser Arbeitsauftrag zu Problemen führen kann:
Erstens können sich einzelne SchülerInnen nicht alle Schritte merken, zweitens wird sich ein Teil der Schülerschaft vor allem am Ergebnis orientieren und nach kurzer Betrachtung des Diagramms beginnen, die Zusammenfassung zu schreiben. Die Schüler/innen sind damit entweder verwirrt oder zu früh fertig - beides bringt Unruhe in die Klasse und verhindert, dass alle sorgsam geplanten und wichtigen Lernschritte ausgeführt werden.
Ursache für diesen Fehler/Lösungsmöglichkeiten:
Vielschrittige Arbeitsaufträge werden vor allem dann erteilt, wenn
- das Unterrichtskonzept - schriftlich oder mental - großschrittig formuliert wurde (»1. Einstieg; 2. Arbeit am Diagramm; 3. Auswertung; 4. Transfer«) und ein Arbeitsauftrag eine komplette Phase abdecken soll. Dabei können einzelne Unterrichtsphasen auch dann funktional zusammenhängend bleiben, wenn sie durch mehrere kleine Arbeitsaufträge strukturiert werden.
- die Lehrperson (z.B. in einer Lehrprobe, Vorführstünde o.ä.) zu kurze Phasen und damit einhergehende Unruhe im Unterricht(skonzept) vermeiden will. Das stellt jedoch kein Problem dar, wenn sich kurze Phasen mit längeren abwechseln (Buch aufschlagen - 1min, Diagramm anschauen, über Inhalt klar werden und Notizen machen - 6min, Besprechung mit Nachbar/in - 3min, Zusammenfassung schreiben - 11min).
Fehler 2: SchülerInnen sind während des Arbeitsauftrags nicht aufmerksam
Beispiel:
Die Lehrperson beginnt, den Arbeitsauftrag zu erteilen; zwei Schüler/innen blättern im Buch, zwei weitere flüstern. Während die Lehrperson das weitere Vorgehen erklärt, beginnen zwei Schüler/innen zu tuscheln (»Hä? Das haben wir doch gestern ...«).
Warum dieser Arbeitsauftrag zu Problemen führen kann:
Schüler/innen, die während der Formulierung des Arbeitsauftrages abgelenkt waren, werden ihn u.U. nicht korrekt ausführen können.
Das Beispiel klingt nicht dramatisch. Rechnen wir jedoch: Bei einer Klassengröße von 24 Schüler/innen hätten im obigen Beispiel 25% der Schüler/innen den Arbeitsauftrag ganz oder teilweise nicht verstanden; hinzu kommt die Schläferquote, die - je nach Biorhythmus, Klassenstufe und Schulform - zwischen 15 und 40% liegt. Es ist also davon auszugehen, dass im Beispiel leicht die Hälfte der Klasse (!) keinen Plan hat, wie es weitergehen soll. Das ist bei einfachen Arbeitsaufträgen nicht schlimm (man kann ja noch schnell den Banknachbarn fragen, welche Seite im Buch aufgeschlagen werden soll), bei größeren/wichtigeren aber eine mittlere Katastrophe, da viele SchülerInnen dazu neigen, auf Nachfragen zu verzichten. Fünf Minuten nach Beginn der Gruppenarbeit stellt sich heraus, dass zwei von fünf Gruppen überhaupt nicht wissen, was sie tun sollen. Das ist fatal für die Dynamik und das Ergebnis des Unterrichts - und schlicht Zeitverschwendung.
Ursache für diesen Fehler/Lösungsmöglichkeiten:
Als Lehrperson möchte man es mit der Strenge nicht übertreiben: In einer 45-Minuten-Stunde wird in einer Klasse immer mal wieder jemand unaufmerksam sein, das lässt sich nicht vermeiden. Man macht sich als Lehrer/in ziemlich zum Sisyphus-Affen, wenn man bei jedem Flüstern auszuflippen beginnt. Bei der Erteilung von Arbeitsaufträgen sollte man jedoch hundertprozentige Aufmerksamkeit erwarten und durchsetzen. Bei Lehrervorträgen, Partner-/Gruppenarbeiten, Plenumsdiskussionen u.ä. sind kurzzeitige und punktuelle Unaufmerksamkeiten tolerierbar, da sie den Unterrichtsablauf in seiner Struktur nicht stören.
Für Gruppenarbeiten wurden in der Publikation Erfolgreicher Gruppenunterricht auf empirischer Basis Richtlinien zur Erteilung von Arbeitsaufträgen formuliert:
Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass Arbeitsaufträge, die in mündlicher und zugleich schriftlicher Form erteilt werden, wesentlich wirkungsvoller sind als nur mündlich erteilte.
Nach Erteilung des Arbeitsauftrages ist eine Phase der Verständnissicherung von hoher Bedeutung. Prüft die Lehrkraft, ob die Gruppen den Arbeitsauftrag verstanden haben, kann sie Desorientierung vermeiden [...] und die Arbeitsergebnisse positiv beeinflussen. In 50% der von uns untersuchten Fälle überprüften die Lehrkräfte überhaupt nicht, ob die Schüler den Arbeitsauftrag auch wirklich verstanden hatten!
[Anmerkung Lehrerfreund: Unter “Verständnissicherung” verstehen die Autor/innen u.a. die Wiederholung des Arbeitsauftrages durch Schüler/innen in eigenen Worten (S. 35).]
Nürnberger Projektgruppe (Hg.): Erfolgreicher Gruppenunterricht. Klett 2001, S. 31
Fehler 3: Vermischung von Organisation und Erarbeitung
Beispiel:
»Setzt euch jetzt in Vierergruppen zusammen und markiert auf dem Arbeitsblatt von gestern alle abwertenden Adjektive mit rot.«
Warum dieser Arbeitsauftrag zu Problemen führen kann:
Die Organisation von Arbeitsphasen erfordert häufig Bewegung im Raum, das Suchen von Unterlagen/Stiften, das Kramen in der Schultasche nach Büchern, Absprachen (»Hey Luke, ich will mit dir!«, »Du kannst mich mal!«, »Sei nicht so ein Ego!«) usw. Sind die organisatorischen Voraussetzungen erfüllt (z.B: Alle Schüler/innen sitzen in Gruppen zusammen, jede/r hat das Arbeitsblatt von gestern vor sich, ebenso einen roten Stift), ist die inhaltliche Dimension in weite Ferne gerückt. Viele Schüler/innen erinnern sich nicht mehr genau an den Arbeitsauftrag, führen ihn aber trotzdem aus.
Dieses Problem ist nicht nur bei komplexen Gruppenarbeiten zu beobachten. Auch die Suche nach dem Buch, zwei Stiften einer bestimmten Farbe und das Herausnehmen des Heftes sind in vielen Fällen bereits kognitiv fordernde Aufgaben, die zu Interferenzen mit dem eigentlichen Arbeitsauftrag führen können.
Ursache für diesen Fehler/Lösungsmöglichkeiten:
Das Problem tritt vor allem in Situationen auf, in denen die Lehrperson die Klasse nicht oder nicht gut kennt (bzw. falsch einschätzt) - ein klassischer Fall von Vorführstunden oder Lehrproben im Referendariat (»Springerklassen«). Die einfache Lösung besteht darin, Aufträge organisatorischer und inhaltlicher Natur strikt zu trennen.
Beispiel:
L: Setzt euch in Vierergruppen zusammen und nehmt das Arbeitsblatt und einen roten Stift zur Hand.
[Warten, bis alle bereit sind.]
L: Markiert alle typisch diskriminierenden Adjektive mit rot.
Viele Lehrer/innen begegnen diesem Problem übrigens dadurch, dass sie darauf bestehen, dass Federmäppchen, Heft und Buch schon zu Beginn der Stunde ordentlich auf dem Tisch liegen.
4. Fehler: Arbeitsaufträge sind für SchülerInnen unverständlich
Beispiel:
»Wir wollen jetzt mit dem Buch, also ihr habt’s ja alle gelesen, deshalb wisst ihr ja, wer die Hauptperson ist, und die - nämlich den Winnetou - wollen wir jetzt mal ganz genau anschauen, sozusagen ‘charakterisieren’, das habt ihr ja schon gelernt, wie das geht, aber wir machen heute was Besonderes, ihr nehmt das Buch, und zwar die Stelle, an der Winnetou das Feuerwasser austrinkt, Seite wie viel war das nochmal, Martin? [Schüleräußerung] Genau, Seite 38, da schaut ihr euch mal an, wie der Winnetou sich so verhält, also welche Eigenschaften her hat. WIE trinkt der das Feuerwasser? Schaut euch das mal genau an.«
Warum dieser Arbeitsauftrag zu Problemen führen kann:
Die Schüler/innen verstehen nicht, was man eigentlich will, weil man sich unverständlich ausdrückt. Deshalb können sie den Arbeitsauftrag nicht zufriedenstellend ausführen.ie Schüler/innen verstehen nicht, was man eigentlich will, weil man sich unverständlich ausdrückt. Sie werden also den Arbeitsauftrag nicht zur Zufriedenheit erledigen können.
Sehr häufig bemerkt die Lehrer/in das Unverständnis und versucht die Situation zu retten, indem sie den Arbeitsauftrag wiederholt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Aufmerksamkeit nur noch halb so groß und in der Regel wird der zweite Arbeitsauftrag nicht besser als der erste, so dass das Chaos perfekt wird.
Ursache für diesen Fehler/Lösungsmöglichkeiten:
- Die Lehrperson entwickelt das Ziel der Arbeitsphase erst während der Formulierung des zugehörigen Arbeitsauftrags und drückt sich deshalb unpräzise und diffus aus.
- Der Arbeitsauftrag ist zu komplex, als dass man ihn aus dem Stegreif klar formulieren könnte.
Abhilfe ist einfach: Arbeitsaufträge - auch die einfachsten - vor dem Unterricht wörtlich formulieren. Die Arbeitsaufträge werden schriftlich fixiert und mehrmals geübt.Das gilt besonders für Demonstrationsstunden und Lehrproben, denn hier können misslungene Arbeitsaufträge katastrophale Folgen haben. Wenn man bei einem kurzen Lehrervortrag aus dem Konzept gerät und im Skript nachschlagen muss, ist das weit weniger tragisch.
In besonders schwierigen Fällen (komplexe Arbeitsaufträge in einer unruhigen Klasse mit hohem Erfolgsdruck) sollte man sich an Punkt 2 erinnern: Arbeitsaufträge funktionieren wesentlich besser, wenn sie sowohl schriftlich als auch mündlich gegeben werden.
5. Ein Teil der Schülerschaft fühlt sich nicht angesprochen
»Ihr nehmt jetzt zackig eure Bücher raus und beschreibt Winnetou auf MINDESTENS zwei Seiten, und wenn ich das geringste Murren höre, dann kracht’s, HABT IHR VERSTANDEN?«
Dieses Problem tritt dann auf, wenn sich einige Schüler/innen durch die verwendete Sprachebene nicht angesprochen fühlen - der Arbeitsauftrag also beispielsweise zu höflich oder zu barsch formuliert wurde.
Warum dieser Arbeitsauftrag zu Problemen führen kann:
In diesen Fällen befinden sich einige Schüler/innen gleichsam in einem »Arbeitsauftragsschatten«, was der Lehrperson vollständig entgeht. In der Regel ist Gleichgültigkeit der Auslöser für die unbefriedigende Mitarbeit in der folgenden Arbeitsphase: Entweder boykottieren die Schüler/innen den Arbeitsauftrag, weil sie sich übergriffig behandelt fühlen, oder sie spüren keinen pädagogischen Druck hinter dem Arbeitsauftrag und befürchten dementsprechend keine Sanktionen bei geringem Arbeitseinsatz.
Ursache für diesen Fehler/Lösungsmöglichkeiten:
- Die Lehrperson hat sich angewöhnt, mit der Klasse in einem Ton zu kommunizieren, der zu höflich oder zu barsch ist. Die Arbeitsatmosphäre ist in diesem Fall wahrscheinlich nachhaltig gestört. Längerfristige analytische und lösungsorientierte Maßnahmen sind anzustreben (Gespräch mit der Klasse, Beratungslehrer/in, informelle Supervision durch einen befreundeten Kollegen o.ä.).
- Die Lehrer/in befindet sich in einem emotional angespannten Zustand (Unsicherheit, Zorn, schlechter Biorhythmus o.ä.). Bei sofortiger Einsicht sollte auf die Metaebene gewechselt werden (z.B. Entschuldigung für den barschen Ton vor der Klasse, Witz über die eigene Unsicherheit). Stellt man die Problematik erst später fest, kann man sich für zukünftige Situationen absichern, indem man Arbeitsaufträge wörtlich vorformuliert und übt.
- Ein Teil der Schülerschaft wird - oft unbewusst - als unfähig oder unwillig eingestuft und deshalb bei der Erteilung des Arbeitsauftrages nicht beachtet (Blickschatten, wenig Aufmerksamkeit) oder mit abwertenden Worten bedacht (»Bin mal gespannt, ob ihr da hinten überhaupt eure Bücher findet«). Auch hier liegt das Problem meist im fehlenden Bewusstsein; ist dieses vorhanden, gilt es, über den eigenen Schatten zu springen und sich zu überlegen, wie man mit der diskriminierten Gruppe weiter umgehen möchte.
Maßnahmen zur Verbesserung der eigenen Arbeitsaufträge
Dummerweise ist es sehr schwer, die eigenen Fehler im Unterrichtsalltag zu identifizieren; Schüler/innen sind dazu nicht kompetent genug, und eine entsprechend kompetente Kolleg/in sitzt meistens doch nicht im Unterricht - denn Supervisionskultur gibt es in deutschen (staatlichen) Schulen nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass man als Lehrkraft dazu neigt, die Schuld für misslungene Unterrichtsphasen bei den Schüler/innen zu suchen.
Die korrekte Formulierung von Arbeitsaufträgen ist in erster Linie ein technisches Geschäft, dessen korrekte Realisierung nichts mit der eigenen Persönlichkeit zu tun hat - auch wenn man bei wiederholtem Versagen geneigt ist, das zu glauben.
Ihre Arbeitsauftragstechnik können Sie so überprüfen: Führen Sie eine Selbstevaluation durch. Machen Sie über mehrere Stunden hinweg in verschiedenen Klassen (halbheimlich) Striche auf die Checkliste (pdf) und ziehen Sie die entsprechenden Schlussfolgerungen, sobald sich mehr als 50 Striche auf der Checkliste befinden.