Generationenkonflikt
Warum alle Lehrer glauben, dass die Schüler »immer schlimmer« werden 08.02.2014, 16:03
Es ist seit Jahrtausenden das immer Gleiche: Lehrer/innen sind davon überzeugt, dass die Schüler/innen in den letzten Jahren "immer schlimmer" geworden sind und beschwören den Untergang der Zivilisation.
Eines der zentralen Ergebnisse der Studie "Lehre(r) in Zeiten der Bildungspanik" (Vodafone-Stiftung/Allensbach-Institut; 2096 Befragte) ist dieses:
Gleichzeitig sehen sich große Teile der Lehrerschaft aber zunehmenden Belastungen ausgesetzt. Fast jeder zweite Lehrer ist der Ansicht, dass der Unterricht und der Umgang mit den Schülern in den letzten Jahren anstrengender geworden sind. Die Lehrer verweisen vor allem auf die nachlassende Disziplin und Konzentrationsfähigkeit der Schüler. [...]
39 Prozent beklagen, dass sich das Verhalten der Eltern gegenüber den Lehrern verschlechtert hat [...] Jeder zweite Lehrer berichtet von zunehmenden Disziplinschwierigkeiten.
Allensbach-Studie "Lehre(r) in Zeiten der Bildungspanik" (PDF), S. 6f
Ein Diagramm zeigt das Grundproblem:
Man mag über Lehrer/innen sagen, was man will - eines stimmt fast immer: Die überwiegende Mehrzahl aller Lehrer/innen, die länger als 10 Jahre im Lehrberuf arbeiten, ist davon überzeugt, dass die Schüler/innen und das Unterrichten schwieriger geworden sind. Es gibt nur wenige Ausnahmen. Eines der häufigsten Zitate: "Diese Klassenarbeit benutze ich seit 20 Jahren - so schlecht wie dieses Jahr ist sie noch nie ausgefallen!"
Eigentlich müssten Lehrer/innen es doch am besten wissen. Sie messen den Puls der Jugend, haben die Kinder und Jugendlichen täglich stundenlang um sich herum, beschäftigen sich intensiv mit ihnen und betrachten differenziert kognitive und soziale Entwicklung (denn sie müssen diese Entwicklung schließlich bewerten/benoten).
Dennoch fällt es schwer, dieser Diagnose zu glauben, die sich hartnäckig durch die Epochen zieht. Dem Voksmund nach haben bereits Aristoteles und Sokrates sich entsprechend geäußert. Dem Aristoteles (384-322 v.Chr.) wird dieses Zitat zugeschrieben:
Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere heutige Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen.
Ob das Zitat nun wirklich von Aristoteles ist (daran gibt es erhebliche Zweifel; mehr: Verlotterte Jugend) oder nicht, spielt keine Rolle. Fragen Sie eine Lehrer/in im Jahr 1970, im Jahr 1990 oder im Jahr 2020 - sie wird Ihnen mit einer ganz ähnlichen Formulierung antworten. Prof. Watzlawick zitiert in einem Vortrag die Aufschrift auf einer mindestens 3.000 Jahre alten babylonischen Tontafel:
Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben. Sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Werte zu erhalten.
Haben die Lehrer/innen Recht und die Jugend wird durch Dauermedienbestrahlung, Werteverfall und Einwirkung von (Birne-)Weichmachern im Spielzeug immer unkonzentrierter, schwieriger, verrohter, unaufmerksamer, unmotivierter, respektloser ...?
Wer verändert sich mehr - Lehrer/innen oder Schüler/innen?
Je länger man Lehrer/in ist, desto älter wird man - und desto weiter entfernt man sich in seinen Vorstellungen von dem, was wichtig sei, von den Schüler/innen. Jedes Jahr vergisst man ein bisschen mehr, was man selbst für schwachsinnige Vorstellungen hatte, als man "jung" war. Wären Sie als 16-Jähriger nicht auch rund um die Uhr vor Ihrem Smartphone gehängt und hätten sinnlose Kurznachrichten geschrieben? (Lesenswert: Schulpause: Smartphone, sitzen, schweigen)
Nur Wenige besitzen die pädagogische Abstraktionsfähigkeit, "anders" nicht mit "schlimmer" zu verwechseln. Das ist der Generationenkonflikt. Es gibt ihn vielleicht schon immer, seit Menschen denken können. Und die Welt ist immer noch nicht untergegangen.
Noch nicht.