Berufskrankheiten
Typische Lehrer/innen-Fehler #1: Besserwisserei 10.10.2022, 17:46
Besserwissen gehört für Lehrer/innen zwar irgendwie auch zum Job, steht jedoch gleichzeitig auf der Liste der Vorurteile ganz oben. Zügeln Sie dieses Verhalten, und sowohl Ihr Unterricht als auch Ihr Verhältnis zu den Schüler/innen werden … besser.
Definition: Berufskrankheiten
Michael P. (Name von der Redaktion geändert) war mehr als 20 Jahre lang im Gemeindevollzugsdienst als Parkwächter/in tätig. Jeder Spaziergang mit ihm war dominiert von Anmerkungen wie »Dieser Audi hier steht zu weit über der Linie.«, »Siehst du das Ausfahrt-freihalten-Schild? Der hat sich voll davorgestellt!« und »Tja. Eingeschränktes Halteverbot. 20 Euro.«
Im Arbeitsleben üben wir permanent bestimmte Interaktions- und Verhaltensweisen aus. Wenn solche Verhaltensweisen nicht mehr kontrolliert werden können und gewohnheitsmäßig (auch in der Freizeit) ablaufen, spricht man umgangssprachlich von Berufskrankheit. Michael P. war sich nicht bewusst darüber, dass er den Leuten auf den Zeiger ging. Im Gegenteil - er fühlte sich kompetent und als Anwalt der Gerechtigkeit.
Auch manche Lehrer/innen entwickeln Berufskrankheiten, vielleicht mehr noch als in anderen Berufen. Denn Lehrer/innen erledigen keine Fließbandarbeit, sondern müssen in unterschiedlichsten Situationen und permanent ihre ganze Persönlichkeit einsetzen. Dass man hier soziale Mechanismen entwickelt, ist nicht verwunderlich.
Berufskrankheit Besserwisserei
Ein gängiges Vorurteil Lehrer/innen gegenüber lautet, sie seien besserwisserisch, was sich im unoriginellen Bonmot »Morgens haben sie Recht, mittags frei.« niederschlägt.
Falls Sie Lehrer/in sind und sich diese Infektion zugezogen haben - unten im Artikel finden Sie die Lösung. Dafür müssen Sie jedoch zuerst verstehen, was es mit der Lehrer/innen-Besserwisserei auf sich hat.
Fakt: Lehrer/innen wissen mehr als Schüler/innen
Zwischen Lehrer/innen und Schüler/innen besteht ein geradezu zwangsläufiges Wissens- und Kompetenzgefälle. Schließlich hat die Lehrer/in das zu unterrichtende Fach studiert und ist professionell ausgebildet, Inhalte und Methoden weiterzugeben. Für die Mehrzahl der Unterrichtssituationen trifft dieses Kompetenzgefälle notwendigerweise zu, auch wenn das in freien Unterrichtssituationen anders sein kann (z.B. Projektarbeit). Eine Lehrer/in, die den Satz des Pythagoras nicht beherrscht, kann ihn niemandem erklären.
Viele Lehrer/innen spüren deshalb den Druck, es besser wissen zu müssen.
Warum »mehr wissen« zur Angewohnheit werden kann
Zum Beruf der Lehrer/in gehören gefühlt zwingend folgende Tätigkeiten:
Fehler suchen, Leistungen bewerten
Lehrer/innen bewerten dauernd: Klassenarbeiten, Schülerantworten, jegliche Leistung - meist durch Noten: schriftlich, mündlich, Projektnote, Zeugnisnote. Dabei steht häufig die Suche nach Fehlern im Vordergrund (»Fehlerorientierung« - siehe hierzu den lesenswerten Artikel Positive Leistungsphilosophie für Lehrer/innen).
Auch nicht fachliche Leistungsaspekte werden zum Gegenstand der Bewertung: Motivation, Kreativität, Sozialverhalten.
Daraus entsteht häufig die Angewohnheit, inhaltliche Äußerungen grundsätzlich zu bewerten und zu kommentieren - auch außerhalb der Schule.
Notengebung rechtfertigen
Leistungsbewertung ist immer subjektiv, selbst wenn man mit wasserdichten Notenschlüsseln und transparenten Vorgaben arbeitet. Deshalb kommt es häufig zur Diskussion um die Notengebung mit Schüler/innen und Eltern. Die Lehrer/in rechtfertigt ihr Konzept der Notengebung, weist nach, dass die Leistung doch nicht so gut war, rechnet die Fehler vor usw.
Systematische Vertuschung von Wissenslücken
Die Lehrer/in steht während des Unterrichts häufig im Zentrum der Kommunikation. Schüler/innen verstehen etwas nicht und fragen nach; Schüler/innen interessieren sich für Details und fragen nach; Schüler/innen entdecken eine Ungereimtheit im Tafelbild und fragen nach. Oder sie wollen einfach die Lehrer/in unter Druck setzen.
Zur Wahrung der eigenen Expertise entwickeln viele Lehrer/innen die Angewohnheit, eigene Wissenslücken zu verbergen. Auch dieses Verhalten entwickelt sich bei vielen Lehrer/innen schleichend zur alltäglichen Angewohnheit und frisst sich tief in die Persönlichkeit hinein.
Kurz: Verselbstständigen sich solche Verhaltensweisen, wird's duster. Immer nur nach Fehlern suchen, eigene Schwächen nicht zugeben - so will man eigentlich nicht sein.
Warum Besserwisserei unpädagogisch ist
Durch Besserwisserei mindern Sie die Qualität Ihres Unterrichts, und Ihre Beziehung zu den Schüler/innen verschlechtert sich. Denn an Stelle von inhaltlichem Diskurs und echter sozialer Interaktion treten prinzipiengesteuerte Automatismen. Die Folge:
Verminderter Lernerfolg - Statt Potenziale zu erkennen und Ihre Schüler/innen zu fördern, sind Sie damit beschäftigt, den Schein der Überkompetenz aufrecht zu erhalten. Sie lassen es nicht zu, dass Schüler/innen besser sind als Sie. Sie lassen nicht zu, dass Sie selbst auch fehlerhaft sind. Doch erfolgreiches Lehren und Lernen erfordert eine Vertrauensbasis zwischen Lehrer/in und Lerner/in und muss auf Augenhöhe stattfinden.
Autoritätsverlust - Sie verlieren an Authentizität. Ihre (inhaltliche und/oder soziale) Autorität wird zur Hülle, hinter der man nichts weiter vermutet als fehlendes Selbstwertgefühl. Sie sind nicht »echt«.
Desympathisierung - Keiner mag Besserwisser. Für den Unterrichtserfolg ist es jedoch sehr hilfreich, wenn die Schüler/innen Sie mögen.
Wie man die Berufskrankheit »Besserwisserei« ablegt
Selbsterkenntnis ist der beste Weg zur Besserwisserei Besserung. Hinterfragen Sie Ihr eigenes Verhalten und korrigieren Sie, wenn es Ihnen sinnvoll scheint. Weiterhin könnten sie …
- … Personen aus Ihrem Umfeld fragen, ob Sie besserwisserisch wirken. Wenn Sie ganz schmerzfrei der Wahrheit gegenüber sind, stellen Sie die Frage mal in einer Evaluation in Ihrer Klasse.
- … in Gesprächen (sowohl in der Schule als auch in der Freizeit) die Gesprächspartner/innen dafür loben, wie gut sie sich in etwas auskennen - vor allem in dem Moment, wo Sie den Impuls haben, etwas ergänzen oder berichtigen zu wollen.
- … mal überlegen, wann Sie das letzte Mal im Unterricht gesagt haben »Das weiß ich nicht.«
Viel Glück dabei.