Motivationsexperte
Korrigieren und der innere Schweinehund - Interview mit Dr. Frädrich 14.01.2015, 17:14
Eines der größten Lehrer/innen-Probleme: Die Motivation zu finden, sich an den Stapel mit Korrekturen zu setzen. Wir hoffen, eine Lösung für dieses Problem zu finden, indem wir den Motivationsexperten Dr. Stefan Frädrich zum Thema befragen.
Vorbemerkung: Das war aber mal ein aufschlussreiches Interview (geführt per E-Mail)! Während wir nach Abhilfe für die Symptome fragen ("Ist es ein guter Trick, in Häufchen zu korrigieren?"), nimmt Dr. Frädrich den Kern des Problems in den Blick: Korrigieren ist Coaching, und damit Kommunikation mit den Schüler/innen. Damit hat er uns gleich erwischt - denn häufig korrigieren Lehrer/innen, um eine Note zu erzeugen, um sich schon im Vorfeld gegen Anschuldigungen der Schüler/innen oder Eltern zu wappnen. Wenn bei den Schüler/innen letztlich nichts ankommt außer roter Farbe, und wenn man sich als Lehrer/in mit dieser Einstellung an den Schreibtisch setzt, dann gibt es auch keine Tricks außer tumbem Zähnezusammenbeißen. Der Trick ist die innere Einstellung - nicht die Frage, auf welcher Seite des Schreibtischs die unkorrigierten Klassenarbeiten liegen.
Lehrerfreund: Hallo, Herr Frädrich. Können Sie der Lehrerschaft beim Kampf gegen den inneren Schweinehund beistehen?
Dr. Stefan Frädrich: Ich denke, damit sind wir schon auf das eigentliche Problem gestoßen: Dass wir nämlich den inneren Schweinehund nicht besiegen sollten, sondern ihn als einen Freund begreifen. Nur geht das natürlich nicht, wenn ich meine Arbeit im Kern nicht mag.
Wahrscheinlich sollte man erst einmal fragen, warum das Korrigieren als langweilige und unerfüllende Tätigkeit angesehen wird. Das bedeutet doch, dass man am eigentlichen Sinn vorbeiarbeitet. Hausarbeiten oder Hausaufgaben geben dem Lehrer ein Feedback über die Qualität seiner Arbeit. Insofern kann ich mir vorstellen, dass es einfacher ist zu korrigieren, wenn ich mich weniger als Lehrer mit einer lästigen Pflicht begreife, sondern viel mehr als Coach, der seine Schüler weiterentwickelt.
Vielleicht ist die grundsätzliche Frage, ob ich diesem Aspekt meiner Arbeit die Wichtigkeit gebe, die er verdient. Damit müsste man weniger über das Ablenken nachdenken als über das große Ganze.
Lehrerfreund: Eine Umfrage hat gezeigt, dass die meisten Lehrer/innen beim Korrigieren dauernd die verbleibenden Klassenarbeiten zählen. Man korrigiert drei, vier Stück, dann zählt man, wie viele noch übrig sind. Fünf Minuten später zählt man schon wieder. Undsoweiter. Ist das tatsächlich eine Erleichterung oder nur unnötige Selbstquälerei?
Dr. Stefan Frädrich: Die Qualifikation, Arbeiten im Block zu erledigen, ist eine Schlüsselqualifikation für jeden Beruf. Insofern sind Lehrer mit dieser Aufgabe nicht alleine. Jeder Job hat Routineaufgaben. Diese müssen nicht immer Spaß machen, gehören aber dazu. Wer diese Geisteshaltung verinnerlicht hat und vorlebt, kann seinen Schülern etwas Wichtiges für ihr Leben mitgeben.
Ansonsten gilt: Die Situation ist der Coach. Was bedeutet es, dass ich ein Problem habe? Was kann ich noch lernen? Was kann ich aus diesem Problem lernen? Ich denke, dass es jedem gut tut, in einigen Bereichen noch nicht perfekt zu sein und sich als einen im ständigen Lernen begriffener Mensch zu verstehen. Das dürfte die Basis dafür sein, mit der nötigen Demut die Aufgaben der Schüler zu betrachten. Die müssen ja auch ständig Hausaufgaben machen.
Lehrerfreund: Sehr viele Lehrer/innen würden sich ihre heimische Arbeit lieber in kleine Häppchen einteilen (hier mal ein Stündchen, dort mal ein Stündchen), doch regelmäßig läuft es auf einen "Gewaltakt" hinaus, weil man die Arbeit vor sich herschiebt, bis es nicht mehr geht (Umfrage: Gewaltakt oder häppchenweise?). Ist das nicht erstaunlich, dass man offensichtlich im Lauf der Jahre nichts dazulernt und diese Aufschieberitis ablegt?
Dr. Stefan Frädrich: Wer seine Arbeit nur in einem "Gewaltakt" bewältigen kann, sollte möglicherweise sein inneres Wording überdenken. Will ich Probleme haben oder Herausforderungen? Ist etwas anspruchsvoll oder schwierig? Ist ein Schüler speziell oder lästig? All diese inneren Formulierungen bereiten einen emotionalen Boden, auf dem sich Dinge mal leichter, mal schwerer erledigen lassen. Sie sind eine Art innere Programmierung, und insofern eine Frage gelebter Selbstintelligenz. Letztlich ist es die eigene Entscheidung, ob man unter Pflichten leiden will oder sie als einen Teil des eigenen Lebens akzeptieren kann.
Lehrerfreund: Lehrer/innen haben das Sisyphos-Problem: Ist das Ziel erreicht (alle Klassenarbeit korrigiert), kommt am nächsten Tag schon wieder der nächste Stapel rein. Die vollbrachte Arbeit hat kaum sichtbare Erfolge, häufig lesen die Schüler/innen nicht einmal die Korrekturanmerkungen/Kommentare. Der einzige Grund, sich an den Schreibtisch zu setzen, besteht darin, fertig zu werden und den Korrekturstapel wegzuschaffen. Wie kann man sich in dieser Situation motivieren?
Dr. Stefan Frädrich: Auch hier geht es um ein Grundthema jeden Lebens. In jedem Job, in jedem Haushalt, in jeder Existenz gibt es täglich wiederkehrende Pflichten. Die spannende Frage ist diese: Wenn die vollbrachte Arbeit kaum sichtbare Erfolge mit sich bringt, warum ist das so? Hier kann man sich hinterfragen: Kommentiere ich die Korrekturen richtig? Sollte ich andere Kommunikationskanäle mit den Schülern wählen? Ist mit unter ein Einzelgespräch sinnvoller? Die Aufgabe des Lehrers ist hier die gleiche wie die einer Führungskraft in jedem Wirtschaftsbetrieb: zu kommunizieren. Und Kommunikation ist, was ankommt, was verstanden wurde. Nicht das, was man gesagt und gemeint hat. Also haben Lehrer kein Sisyphos-Problem. Es geht eher um Aspekte wie Beibringen, Feedback, Fortschritte. Wer das als anstrengend empfindet, sollte sich Fragen stellen, die tiefer gehen. Bin ich im richtigen Beruf? Habe ich die richtige Art zu kommunizieren? Habe ich die richtige Einstellung, um meinen Beruf als befriedigend zu empfinden? Wer hier zweifelt, hat andere Aufgaben als rein auf die Selbstorganisation zu schielen. Es geht um Grundsätzliches.
Ich hatte einmal einen Lehrer, der sich die Mühe gemacht hatte, Korrekturen mit kleinen Zeichnungen zu versehen. Er hat seinen Beruf und seine Schüler geliebt, das hat jeder gespürt. Und die Zeichnungen haben seine Korrekturen so interessant gemacht, dass jeder freiwillig und sehr genau hingesehen hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Lehrer die Korrektur von Hausaufgaben als lästige Pflicht betrachtet hat. Es war eher ein Teil seiner inneren Motivation, ein guter Lehrer zu sein. Wer sich hingegen nur motivieren will, den nächsten Stapel abzuarbeiten, wird dieses sein Leben lang tun müssen. Vielleicht wäre es dann an der Zeit, sich die Frage zu stellen, welchen Beruf man statt des Lehrerdaseins ausüben möchte.
Lehrerfreund: Ein großes Problem ist die Prokrastination - sobald man zwei Aufsätze korrigiert hat, fängt man an zu telefonieren und Geschirr zu spülen. Wer den Lehrer/innen hier eine zuverlässige Gegenstrategie verrät, macht sich im internationalen Schulwesen unsterblich. Kennen Sie eine?
Dr. Stefan Frädrich: Natürlich ist es menschlich, Unangenehmes vor sich her zu schieben. Ich denke, es geht um die persönliche Dosis. Wir wissen alle: Wenn etwas dringend genug ist, haben wir keine Schwierigkeiten, uns zu motivieren. Der Trick ist ja letztlich wie bei den Hausaufgaben, die die Schüler machen müssen: Einfach anfangen, dann kommt die Motivation schon hinterher. Wer hingegen darauf wartet, dass Motivation entsteht, und dann erst anfängt, wartet mitunter sehr lange. Auch hier sprechen wir wieder über eine Schlüsselqualifikation erfolgreicher Menschen: das Anfangenkönnen. Wie viele Menschen zögern lieber, zaudern und schieben Unangenehmes vor sich her, anstatt einfach zu handeln? Natürlich gibt es ein paar praktische Aspekte: Man sollte seine Arbeit in Blöcken arrangieren. Man sollte das Handy ausschalten, sich also nicht ablenken lassen. Türe zu, Augen zu und durch! Wer hingegen ständig mit sich hadert, was er viel lieber täte, hat nicht nur bei den Korrekturen ein Organisationsproblem.