Musikhören bei der Arbeit
Die richtige Musik zum Korrigieren 24.04.2017, 22:17
Die richtige Musikauswahl kann den Korrekturprozess immens verbessern, wenn Musik zur Regulierung der Aufmerksamkeit eingesetzt wird. Bei stumpfsinnigeren Tätigkeiten (wie die Korrektur von Rechtschreibung, Zeichensetzung o.ä.) empfiehlt sich komplexere, anspruchsvolle Musik, bei anspruchsvolleren Aufgaben (z.B. inhaltliche Korrektur) sollte man eher sphärische Klänge einsetzen.
Der Lehrerblogger Herr Holze schreibt über seine Musikhörgewohnheiten beim Korrigieren:
Ok, ich gebe es zu: Ich halte mich nicht an die Tipps, die ich meinen Schülern gebe. Ich höre während der Arbeit Musik. Manchmal brauche ich das geradezu. Vor allem, wenn Korrekturen anstehen. (Richtig schlimm wird die Korrigiererei erst, wenn Stille herrscht!) In den letzten 10 Tagen habe ich über 60 Abschlussarbeiten gelesen und mein Verlangen nach Musik hat sich Tag für Tag geändert. Da ich das jetzt schon ein paar Jahre so mache, kann ich ein Muster erkennen.
Es folgt eine differenzierte Auflistung, welche Musik er wann hört: "zum Korrektureinstieg": Marillion, Peter Gabriel oder Pink Floyd; bei"anstrengender[en]" Korrekturen: jazzigere Stile oder auch "härtere Klänge" (z.B. Metallica), wenn viel Müll zu lesen ist. Später kommen dann eher sphärische Klänge wie Tangerine Dream oder Jean Michel Jarre (mehr zu lesen bei Herr Holze.de: Musik und Arbeit).
Interessant ist die Tatsache, dass Herr Holzes Musikauswahl in erster Linie dazu dient, sich die Korrekturarbeit zu erleichtern. Symptomatisch ist dieses Zitat:
Heute habe ich gemerkt, dass ich auch mit Magma ordentlich vorankomme. (Magma gehört definitiv zu der Art von Musik, die mein Umfeld erschauern lässt. [...])
Magma ist ultradurchproduzierter, semipsychedelischer Sound. Hören Sie mal rein:
Die Frage ist: Warum kommt Herr Holze in bestimmten Situationen mit Magma besser voran als mit, sagen wir, Lady Gaga?
Musikhören bei der Arbeit
Musikhören bei der Arbeit ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits kann Musik motivieren und die Stimmung verbessern, andererseits auch ablenken und stören. Eine Mini-Interview-Studie (Chein, Hassenzahl, Mehnert 2011) mit insgesamt sieben Befragten versuchte zu erklären, welches die zentralen Effekte des Musikhörens bei der Arbeit sind. Die Ergebnisse überraschen nicht: Musik wird als positiv und motivierend wahrgenommen, man fühlt sich bei der Arbeit weniger allein, allerdings lenkt die Musik auch ab (wenn man nämlich seinen Fokus von der Arbeit ab- und der Musik zuwendet). Konzentration, Qualität der Arbeit und "Kompetenzerlebnisse" (S. 69) werden beeinträchtigt.
Musik beim Korrigieren
Nun ist Korrigieren eine ganz besondere Arbeit, bei der oft ein gewisses Minimum an geistiger Aufmerksamkeit erforderlich ist - mehr aber auch nicht. Wer stundenlang Rechtschreibfehler markiert, gerät in einen zombieartigen Zustand. Ungefähr so wie der Fließbandarbeiter, der einen Haken in eine Öse hängt, wieder und wieder. Von Spaß, Entwicklung oder Inspiration keine Spur. Genau hier setzt die Überlegung von Chien et al. (2011) an:
Damit Musik und Arbeit im Einklang stehen, muss sich der Grad an Aufmerksamkeitsbindung durch die Musik an die spezifischen Aufmerksamkeitserfordernisse der Arbeit anpassen. Bei repetetiven Aufgaben, die für sich genommen leicht einschläfernd wirken, kann sich ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeitsbindung durch die Musik produktiv auswirken - bei kognitiv anspruchsvollen Aufgaben hingegen, die ein hohes Maß an Aufmerksamkeit fordern, wirkt eine zusätzliche Aufmerksamkeitsbindung durch die Musik kontraproduktiv. "Produktiv" bzw. "kontraproduktiv" ist hier nicht (allein) im Sinne einer Leistungssteigerung gemeint, sondern auch in Bezug auf das subjektive Erleben der Arbeit (siehe Hassenzahl, 2010).
Ein positives Arbeitserlebnis ist gekennzeichnet durch das Erleben von Kompetenz ("Ich habe das Gefühlt, schwierige Aufgaben erfolgreich zu meistern."). Bei kognitiv fordernden Arbeitsaufgaben muss die Musik daher weitgehend in den Hintergrund treten.[...] Musik ist "nur " eine unterstützende Umgebungsvariable, im Sinne einer gemütlichen und inspirierenden Arbeitsplatzatmosphäre.
Chien, W.-C., Hassenzahl, M., & Mehnert, K. (2011). Musikhören und Arbeiten im Einklang. i-com. Zeitschrift für interaktive und kooperative Medien, 10(3), 69-72, S. 69
Beim Korrigieren befinden wir uns in einer Grauzone: Korrigieren ist einerseits höchst repetetiv und einschläfernd - was nach aufmerksamsheischender Musik geradezu schreit (z.B. Magma). Andererseits handelt es sich streckenweise auch um eine "kognitiv anspruchsvolle]...] Aufgabe[...]", wenn bspw. inhaltliche Beurteilung gefragt ist. Komplexe Musik führt hier zu schlechter Arbeitsergonomie und damit zu Unproduktivität. Diese beiden Aspekte sind in Herrn Holzes Auswahl in ihrer ganzen Bandbreite vertreten.
1) Musik für stumpfsinnige Korrekturphasen
Bei stumpfsinnigen, anspruchslosen Aufgaben wie Korrektur der Sprachrichtigkeit (Rechtschreibung, Zeichensetzung usw.) sind also anspruchsvollere, komplexere Musikstile erforderlich. Solche Musik erzeugt Stimmungen, die von der Tristesse der Kommafehler ablenken und sie gleichsam sublimieren (sublimieren "bedeutet ganz allgemein, dass etwas auf eine höhere Stufe gebracht wird, sozusagen durch einen Veredelungsprozess" - Wikipedia, Hervorhebung Lehrerfreund). Der Korrekturvorgang wird ein Stück weit automatisiert, indem wir unsere Aufmerksamkeit gezielt von der Musik vereinnahmen lassen.
Durch häufige harmonische und rhythmische Wechsel wird die Aufmerksamkeit wieder und wieder auf die Musik gelenkt, und man kann zwei Kommafehler markieren, ohne es zu bemerken. Möglicherweise dürfte sich deshalb auch Frank Zappa zum Korrigieren sehr gut eignen, je nach Geschmack vielleicht auch Klassik des 19. Jahrhunderts (bspw. Berlioz).
2) Musik für anspruchsvollere Korrekturaufgaben
Hierzu ist Musik erforderlich, die möglichst wenig Aufmerksamkeit bindet, sondern als "unterstützende Umgebungsvariable" dient. Sie soll Gemütlichkeit, Ruhe und Freude vermitteln. Außerdem soll sie einlullen und - ohne dabei unsere Aufmerksamkeit zu beanspruchen - in eine produktive Trance versetzen. Je psychedelischer und sphärischer der Sound, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass man plötzlich aufschreckt und siehe da - der Stapel ist zur Hälfte abgearbeitet, ohne dass man es in seinem Rausch bemerkt hätte!
Leider ist es häufig schwierig, sich bei anspruchsvollen Aufgaben solchermaßen einlullen zu lassen, da immer eine gewisse geistige Aufmerksamkeit vorhanden sein muss (das ist ja das Ekelhafte an solchen Korrekturphasen: Man muss aufmerksam an etwas arbeiten, was häufig keine Aufmerksamkeit verdient). Ein völliges Umschalten in den vegetativen Modus ist beim Korrigieren unmöglich.
Für solche Phasen ist also eine nicht komplexe, angenehme Musik erforderlich - ob es sich nun um seichten Pop oder um psychedelische Klangteppiche handelt.
3) Programmatisch-prozessorientiertes Korrekturmusikhören
Dann gibt es natürlich noch die Möglichkeit, sich durch die Musikauswahl einen programmatischen Rahmen zu schaffen. Bspw. tweetet @tintenrot am 24.04.2017:
Zu den Korrekturen läuft das Requiem in D Minor, K626. Aus Gründen.
Auf der Lehrerfreund-Facebook-Seite sprechen sich einige User für Filmmusik/»Filmsoundtracks« aus, N.T. präzisiert die Programmatik:
zur letzten Klausur dann "Now we are free" (Gladiator)
Voila:
W.K. korrigiert am liebsten zu »Punk oder Ska«. S.H. schließlich meint, ihm hülfe bei dem
Geschreibsel immer Gustav Mahlers 6. Symphonie...die, in der am Schluss mit einem riesigen Hammer auf einen Holzblock gedroschen wird....
… und hängt dann auch gleich die entsprechende Stelle an:
*Bam
Stille
Im depressiven Gefühl, dass die Stapel niemals bewältigt werden können, findet Herr Holze nicht einmal mehr Trost in der Musik:
Dann kommt nur noch Stille. Diese Phase versuche ich aber zu vermeiden.