Krasse Kontroll-Kultur-Schule
‘Notenspiegel jeder Klassenarbeit bei der Schulleitung vorlegen’ 28.02.2013, 21:18
Es gibt tatsächlich Schulen, an denen werden Lehrer/innen zum Gespräch gebeten, wenn die Noten ihrer Klassenarbeiten keine Normalverteilung aufweisen. Kein Wunder, wenn in solchen Schulen ein ungutes Kontrollklima das pädagogische Arbeiten versaut.
Die Bloggerin Lotta hat nach dem Referendariat nun an einer neuen Schule einen Job angenommen und erlebt dort eine etwas eigenartige Kontroll-Kultur:
Ich bin nach wie vor in der Eingewöhnungsphase in meiner neuen Schule und lerne, nachdem die Anfangseuphorie nachlässt, auch die Schattenseiten kennen.[...]
Jetzt muss ich meinen Notenspiegel jeder Klassenarbeit mit der Punkteverteilung, dem Durchschnitt, dem prozentualen Anteil nicht mehr ausreichender Noten sowie drei Beispielklassenarbeiten bei meinem Abteilungsleiter zur Genehmigung vorlegen. Hat der Notenspiegel keine Normalverteilung wird zum Gespräch geladen, um herauszufinden woran das liegen könnte.
Ich komme mir gerade kontrollierter vor, als im ganzen Referendariat. Ich finde es seltsam, dass ausgebildeten Lehrern nicht zugetraut wird eigenverantwortlich eine Klassenarbeit zu stellen und zu bewerten.
Lotta macht Krach 28.02.2013: Alles ist anders. Oder: Warum ich Lehrer nicht mag.
Das klingt nicht nur nach übermäßiger Schikane, sondern auch nach sinnlosem Papierkrieg und immenser Zeitverschwendung für alle Beteiligten. Allerdings lesen wir dann einen Kommentar vom Blogger clownfish:
Ich bin einer dieser Lehrer, denen man Arbeiten vorlegen muss. Die Erfahrung zeigt mir leider, dass das nötig ist. Vermutlich haben wir jede Menge Kollegen, bei denen über x Jahre nichts zu beanstanden war, aber es gibt auch einige, da ist es immens vonnöten, helfend/korrigierend einzugreifen.
“Jeder braut sein eigenes Süppchen.”
Das ist eins der größten Probleme bei Lehrern. Türe zu und gut is. Hospitieren verursacht Schweißausbrüche, Praktikanten verweigert man sich und hart erarbeitete Materialien sind für einen selbst. Soll sich jeder selbst seine Lorbeeren verdienen. Das ist ärgerlich und schadet auch der Qualität einer Schule.
Kommentar von clownfish zu Lotta macht Krach: Alles ist anders
Nun könnte man die (durchaus offene) Frage stellen, ob schlechte Lehrer/innen dadurch besser werden, wenn man sie kontrolliert. Würde es nicht reichen, diejenigen zu kontrollieren, die extrem negativ aufgefallen sind (solche gibt es wirklich: Lehrer/innen, die 90% der Klasse eine 5 geben)? Die anderen werden ihre Notenschlüssel so hinbiegen, dass die Gutachter/innen damit zufrieden sind. Wird dadurch der Unterricht besser? Lernen die Schüler/innen dadurch mehr?
Die Normalverteilung beim Klassenspiegel
Die Gier nach normalverteilten Notenspiegeln zeigt, dass das von Lotta beschriebene System von seelenlosen Bürokraten erfunden wurde. "Normalverteilung" beim Klassenspiegel bedeutet: Es ist "normal", dass die meisten Noten im befriedigenden Bereich liegen, im (sehr) guten und (sehr) schlechten liegen nur wenige. Hier ein Beispiel für einen normalverteilten Notenspiegel (SD = 1.3):
Wer erwartet, dass Klassenarbeiten grundsätzlich Normalverteilungen erwirken, hat die basalsten Grundlagen von Pädagogik und Unterricht nicht verstanden. Mehr dazu: Note 'Eins' wird zu selten vergeben.
Einen schönen Gedankengang hat die Frankfurter Rundschau zum Fall Czerny (die Grundschullehrerin mit den guten Klassenschnitten):
Das Vermischen von Bildungs- und Sortierauftrag bei den Noten ist die folgenschwerste Fehlkonstruktion unseres Schulsystem. Unverständlich, dass unsere Wissensgesellschaft sie toleriert. [...] Vermutlich liegt es daran, dass die Normalverteilung der Noten die Lehrer von Verantwortung für den Lernerfolg frei spricht. Nur mäßiger Lernerfolg und schlechte Noten sind im Reich der Normalverteilung keine pädagogischen Niederlagen, sondern eben normal. Und Lehrer lernen, Tests so zu gestalten, dass es genug schlechte Noten gibt.
Pädagogik-Killer: Klima der Kontrolle
Was geschieht in einer Schule, in der ein Klima der Kontrolle herrscht? In der kreative Spielräume reduziert werden, in der Rechtfertigung wichtiger ist als pädagogisches Handeln? Eines der Hauptprobleme für viele Lehrer/innen ist tatsächlich der mangelnde Gestaltungsspielraum im Schulsystem:
Jeder Idealismus wird im Keim erstickt. Viele Lehrer/innen, die mehrere Jahre im Schuldienst sind, sehen Schule als Vollzugsanstalt. Man geht hin, um für Geld etwas zu tun, was Politiker/innen ersonnen haben und die niederen Vertreter/innen der Kultusverwaltung (Schulämter, Schulleitung etc.) durchsetzen. Das kommt natürlich bei den Schüler/innen an, die ebenfalls nur noch in die Schule kommen, um gute Noten zu bekommen, aber nicht, weil es ihnen Spaß macht oder sie gar etwas lernen wollen.
Lehrerfreund 12.10.2011: Die Hauptursachen für Burnout bei Lehrer/innen
Die Schulleitung bestimmt das Klima an Schulen maßgeblich. Wenn von oben ein Überwachungsfetisch durchgesetzt wird, erzeugt das eine Atmosphäre des Misstrauens und Neides - die sicher viele Lehrer/innen ungewollt an ihre Schüler/innen weitergeben. Und wer den Lotta-Beitrag weiterliest, wird feststellen, dass genau das in dieser Schule der Fall zu sein scheint: Einzelkämpfertum, Streitereien darum, wer warum mehr Geld verdient, null Kooperation.
Der Fisch kontrolliert eben vom Kopfe her.