Kirchenglocken (2): Ein Besuch in der Glockenstube 19.01.2013, 09:17

Kirchenglocke, Foto

Es kommt einer Mutprobe gleich, hoch auf dem Turm in der Glockenstube darauf zu warten, bis die Glocken zu läuten beginnen.

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Besuch im Glockenturm 

Mit dem Betreuer des Glockenturms, den ich »Glöckner« nennen will, steige ich den Turm über acht Zwischenböden und damit über vier Stockwerke hoch. Nach der letzten Treppe stehen wir in der Glockenstube, genauer: inmitten eines Gewirrs von kräftigen waagrechten, senkrechten und schrägen Balken. Der Glockenstuhl, in dem die Glocken gelagert sind, und die vier Glocken selbst verstopfen den Raum mit seinen etwa 4 mal 4 Metern so gründlich, dass mir weniger nach einer Glockenstube als nach einem Glockenkäfig zumute ist. 


Weil wir unseren Aufstieg unvorsichtigerweise in die Mittagsstunde gelegt haben, müssen wir uns vorsehen: Das Schwingen der zweitgrößten Glocke beim Zwölfuhrläuten könnte einen im engen Gehäuse glatt das Leben kosten. Zum Glück gibt es eine Vorwarnung: Der vorausgehende Stundenschlag an der ruhenden Glocke ist einem Hammer zugeteilt. Kurz nachdem er 12 Mal auf die noch nicht schwingende Glocke geschlagen hat, und ich mich im ersten Schreck in eine geschützte Ecke zurückgezogen habe, beginnt die Glocke, vom Motor angetrieben, langsam zu schwingen. Ich meine, ein Erdbeben habe eingesetzt, denn auch die Balken des Glockenstuhls, an denen ich mich verspannt festhalte, haben ihren Ruhezustand aufgegeben und wanken bedrohlich mit. Mit der Glocke hat auch der Klöppel zu schwingen begonnen; er nähert sich nach jedem Umkehrpunkt mehr dem Glockenrand. Dann schlägt er hart auf und das Läuten setzt ein. 

Bild unten: Im Turm wurde ein neuer Glockenstuhl eingebaut. Mit Durchsteckschrauben und Spezialankern wird er zusammengehalten.


Als eine Viertelstunde später der Glöckner das Gesamtgeläute testweise ein weiteres Mal einschaltet und der Glockenstuhl wieder zu wanken beginnt, tröstet er mich: Das Mitgehen des Balkenwerks ist für ihn ein beruhigendes Zeichen. »Die Nachgiebigkeit des Glockenstuhls bedeutet eine gewollte Dämpfung der Kräfte« schreit er mir im Läutelärm in die Ohren, »sie schont das Mauerwerk des Turms«. Übrigens schwingen die Glocken auf das Mittelschiff der Kirche zu. So wird der mächtige Bau zu einer Stütze für den hoch beanspruchten Glockenturm. 

Unten: Die beiden neu gegossenen Glocken werden bald von einem Mobilkran in die Glockenstube hochgehievt.

Die Annahme, Glocken gehörten immer der Pfarrei, die auch Besitzerin der Kirche ist, stimmt oft nicht. So erfahren wir aus WIKIPEDIA von einer Kirche in Rheinland-Pfalz, in der sehr seltsame Glocken-Besitzverhältnisse herrschen: 
»Die Simultankirche „Mariä Himmelfahrt“ in Worms-Pfeddersheim ist eine von Protestanten und Katholiken gemeinsam genutzte Simultankirche im Wormser Stadtteil Pfeddersheim, deren Kirchturm Teil der Pfeddersheimer Stadtbefestigung war und deshalb der Stadt Worms als Rechtsnachfolgerin der Stadt Pfeddersheim gehört. Die Kirche ist ein geschütztes Kulturdenkmal.  ...

Das Geläut der Simultankirche umfasst sechs Glocken, von denen je zwei der evangelischen und der katholischen Gemeinde sowie der Stadt Worms gehören. Zu evangelischen Gottesdiensten werden die evangelischen und die städtischen Glocken geläutet, zu katholischen die katholischen und städtischen; bei ökumenischen Anlässen erklingt das volle Geläut. Die Luther-Glocke der evangelischen Gemeinde schlägt auch den Stundenschlag.
Das Läuterecht für alle Glocken wurde 1910 in einem Vertrag zwischen den beiden Kirchengemeinden und der politischen Gemeinde geregelt. Danach bestimmen die Kirchengemeinden über das Geläut in allen kultischen Angelegenheiten, während die politische Gemeinde lediglich zu weltlichen Anlässen läuten darf, unter anderem zum Mittags-, Abend-, Sturm- und Feuerläuten.
Als 1956 die evangelische Kirchengemeinde das Totengeläut für einen konfessionslosen Pfeddersheimer verweigerte, entschloss sich die politische Gemeinde zum Bau eines eigenen Glockenturms auf dem kommunalen Friedhof.«

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