Bionik (1:) Was ist Bionik? 26.04.2011, 09:26

Laterne / Bionik, Vorschaubild

Bionik ist ein Kunstwort, das sich aus Biologie und Technik zusammensetzt. Es beschreibt ein Fachgebiet, das versucht, von der Natur systematisch zu lernen und die Ergebnisse auf die Technik zu übertragen. Im folgenden Beitrag wird dies erläutert am Beispiel des Baumwachstums.

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Was ist Bionik?

Bio__Logo

Das Kunstwort Bionik (auch: Biomimikry, Biomimetik, Biomimese) setzt sich aus Biologie und Technik zusammen. Es umfasst die Absicht, Vorbilder aus der Biologie gezielt auf technische Fragestellungen zu übertragen. Die Biotechnologie nutzt den Bereich zwischen Biologie und Chemie technisch, die Bionik schlägt eher Brücken von der Biologie über die Physik zur Technik. Die Bionik ist systematisches Lernen von der Natur und darüber hinaus ein Fachbereich, in dem Naturwissenschaftler und Ingenieure, aber auch Architekten, Designer und Philosophen interdisziplinär zusammenarbeiten. So ist beispielsweise der Beitrag »Projekt Stoßdämpfer« ein Thema aus der Bionikforschung.

Bild: Das tec.LEHRERFREUND-Bionik-Logo symbolisiert den Klettverschluss


Bionik - kupfert sie aus der Natur ab?

Wo konkrete Techniklösungen an Natursysteme erinnern, sind sie in den meisten Fällen weiterentwickelt, indem sie von werkstofftechnischen, physikalischen, mathematischen und chemischen Erkenntnissen gestützt werden. Weit gefasst hat es ein Bionikforscher so definiert: Bionik ist das »Lernen von der Natur als Anregung für eigenständiges technologisches Gestalten«. (Quelle: Werner Nachtigall – „Bionik“ aus der Reihe „C. H. Beck Wissen“).

So kann die Natur unzählige Anregungen für technische Entwicklungen geben; sie lassen sich aber nur selten direkt in technische Anwendungen übersetzen. Fast immer erfordern sie die Einbettung in ingenieurwissenschaftliche Erkenntnisse. Beispiel: Flugzeuge sind gewiss Vögeln nachempfunden. Trotzdem schlagen Flugzeugflügel nicht auf und ab wie die Flügel eines Vogels. Bei der Übertragung des Vogelflugs auf das Flugzeug wurde das Naturantriebssystem aus dem Vogelflügel heraus genommen und Propeller- oder Düsentriebwerken zugewiesen.

Bei der Beantwortung einer Bionikfrage gehen Forscher in der Regel vier Schritte:
- Sie entdecken ein biologisches System, das für die Übertragung interessant sein könnte
- Sie entschlüsseln die Geheimnisse, die hinter dem biologischen System stecken
- Sie übertragen das biologische System auf die Technik
- Sie weisen mit dem Bau eines Prototypen nach, dass mit der Übertragung ein technischer Fortschritt verbunden ist und dass die Serienreife des neuen technischen Produkts erreicht werden kann.
Bionikforscher können allerdings nur Anregungen geben, danach sind Ingenieure oder Architekten an der Reihe: Sie müssen die Forschungsergebnisse in reale Technik umsetzen.
Für Bionik-Forscher wird es zunehmend wichtiger, auch hinter Organisationsstrukturen der Natur zu blicken. Die Frage heißt dann nicht: »Was« hat das natürliche Vorbild geschaffen?, sondern: Auf welchem Weg, also »Wie« ist es zu der zu beobachtenden Struktur gekommen?

Im tec.LEHRERFREUND finden sich mehrere Beiträge zu den Themen »Kräfte«, »Biegemomente« und »Festigkeitslehre«. Sie gewinnen im Zusammenhang mit der Bionik eine neue Perspektive. Wir wollen sie hier am Beispiel des Baumwachstums, speziell aber an der Ausbildung von Astgabeln studieren. Viele der in den tec.LEHRERFREUND-Beiträgen genannten Begriffe tauchen hier wieder auf: Zug- und Druckbeanspruchung, Flächenpressung, Biegung und Abscherung.

Die Festigkeitslehre, ein Teilgebiet der technischen Mechanik, beantwortet zwei Grundfragen:
»1. Wie wirkt eine äußere Belastung auf das Innere des Bauteils? Wie groß ist die Beanspruchung eines beliebig kleinen Ausschnitts (Würfel mit sehr kleiner Kantenlänge) an einem beliebigen Ort? Man spricht von inneren Spannungen (Kraft pro Fläche). Wichtig dabei ist die Ermittlung der später auftretenden äußeren Kräfte (Traglasten, Wind, Zug, Druck und andere). Das zeitliche Verhalten der Belastung (dauernd, schwellend oder wechselnd) muss ebenfalls bekannt sein.
2. Wie halten verschiedene Werkstoffe der Belastung stand? Die Werkstoffkunde beantwortet diese Frage. Sie liefert Methoden, wie man die an einem Probekörper im Versuch ermittelten Verhältnisse auf das ganze noch zu erstellende Bauteil übertragen kann. Die Ergebnisse münden in die Aussage der zulässigen Festigkeit (Kraft pro Fläche)« (entnommen aus Wikipedia, gekürzt).

Beispiel: Baumwachstum - Kräfte und Formen

Das Baumwachstum lehrt uns, wie Kräfte auf Stamm, Äste und Zweige wirken und wie sie von ihnen aufgefangen werden. Dabei kann man – behält man die Gesetze der Mechanik im Blick – optimale Konstruktionsprinzipien beobachten.

Bild 1: Wirken Schnee oder Windkräfte auf den Ast, setzt sich eine Katze darauf usw., dann belasten sie den Ast mit der Kraft F, unter der er sich nach unten biegt. Dabei entstehen im oberen Teil des Asts Zugkräfte, im unteren Teil Druckkräfte. Der Ast setzt dem eine Form entgegen, die auf solche Belastungen optimal eingestellt ist:
- Der Ast besitzt keinen irgendwie eckig gearteten Querschnitt, sondern einen annähernd runden: Das spart Material.
- In Stammnähe ist der Ast dicker als weiter außen (am Astansatz herrscht ein größeres Biegemoment). Der konische Verlauf bewirkt an jeder Stelle eine etwa gleich bleibende Querschnittsbelastung.
- Der Astansatz bildet am Stamm Radien (r1 und r2), d. h. einen sanften Übergang. Gegenüber eckigen Übergängen (Bild 1) halten Radien ein Vielfaches an Belastung aus. Dies haben wir bereits im Thema »Kerbwirkung in Bauteilen« beschrieben.
- Dazu ist das Holzmaterial (meist) so beschaffen, dass es die Belastungen elastisch aufnimmt.

Baum_Astgabel

Bild 2: Am Baumstamm lässt sich zudem beobachten, dass er sein Wachstum besonderen äußeren Belastungen anpasst. Wirkt an der bezeichneten Stelle mehr Winddruck als an anderen Stellen, dann lagert der Baum dort zusätzliches, stabilisierendes Material an, wo sich die Kraft am stärksten auswirkt: Das sind weiter unten liegende Querschnitte, in der Draufsicht als Ellipse dargestellt.

Baumstamm_Querschnitt

Bild 3: Nicht zuletzt wirken Naturformen immer ästhetisch, also schön. Der Lampenmast mit Konsole kann das zeigen: Konsole 1 - hier Material sparend konstruiert - ist dem Baumast nachgebildet. Die Form der Konsole 2 wirkt, auch wenn sie ihren Zweck erfüllt, im Vergleich zur Konsole 1 eher unbeholfen.

Laternenmast

 

Auch an den hoch beanspruchten menschlichen Knochen kann man die oben beschriebenen Eigenheiten studieren. Am Oberschenkelknochen gehen der obere Kopf und die unteren Gelenkknorren in weit geschwungenen Radien in den Schaft über. Auf diese Weise werden Druckkräfte sauber in den Knochen eingeleitet. Das Innere des Knochens (rosa Partie im Bild unten) ist ausgefüllt mit einem Gewebe1), das eine ähnliche Struktur hat wie ein Badeschwamm. Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Anordnung Kräfte optimal aufnimmt und verteilt. Mit dieser Erkenntnis konnte die Bionik einen Beitrag für die Entwicklung hochfester Leichtbaukonstruktionen liefern.
Zugkräfte werden von mit den Knochen verbundenen Sehnen und Bändern aufgenommen. Sie sind in der Skizze nicht dargestellt.

1) Die Eigenschaften dieses Gewebes sind auch den im Beitrag »Geheimnis des Spechts« genannten Forschern aufgefallen.

Skelett Oberschenkelknochen

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