Deutsch im naturwissenschaftlich-technischen Unterricht (1): Einführung 12.08.2015, 05:39

Logo der tec.LF-Reihe »Technik und deutsche Sprache«

Jeder Mensch hat seinen Wortschatz und seine persönliche Art, mit ihm umzugehen. Wo beim Beschreiben von technischen Zusammenhängen die Fachsprache ins Spiel kommt, wird dadurch die Sprechweise einer Person kaum beeinflusst, aber sie hat einen erweiterten Wortschatz zur Verfügung. In der Reihe »Wege zu gutem Deutsch im technischen Unterricht« wird der tec. LEHRERFREUND fachsprachliche Eigenheiten näher betrachten. Die Reihe ist auch als Hilfe für Auszubildende gedacht, deren Muttersprache nicht das Deutsche ist.

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Wege zu gutem Deutsch im naturwissenschaftlich-technischen Unterricht 

In einer neuen Reihe befasst sich der tec.LEHRERFREUND mit der Sprache im technischen Unterricht.

Die Beiträge:

1. Deutsch im technischen Unterricht: Einführung 
2. Deutsch im technischen Unterricht: Technische Analyse
3. Deutsch im technischen Unterricht: Sprachliche Eigenheiten 
4. Deutsch im technischen Unterricht: Technisches Experiment  
5.1 und 5.2 Eine Konstruktionsaufgabe präsentieren  

6. Deutsch im technischen Unterricht: Fremdwörter  
7. Deutsch im technischen Unterricht: Texte verbessern  
8. Deutsch im technischen Unterricht: Modemacken 
9.1 und 9.2 Technik und Sprache: Einen Vortrag halten 
10.1 und 10.2 Smartbird: Einen Onlinetext lesen und analysieren

1. Einführung 

a) Alltagssprache – technische Sprache

Jeder Mensch hat seinen Wortschatz und seine persönliche Art, mit ihm umzugehen. Wo beim Beschreiben von technischen Zusammenhängen die Fachsprache ins Spiel kommt, wird dadurch die Sprechweise einer Person kaum beeinflusst, aber sie kann auf einen erweiterten Wortschatz zurückgreifen. Wenn ein Laie dem Fachmann beim Erklären eines technischen Sachverhalts zuhört, wird er vielleicht feststellen: Ich habe nicht alles verstanden, weil er viele mir unbekannte Fachausdrücke benutzt hat. 

Wo und wie lernt ein Auszubildender den Wortschatz und die Redewendungen, die er kennen muss? Er lernt sie im Umgang mit den Objekten, die ihn täglich umgeben und in der Auseinandersetzung mit Vorbildern, die »es schon wissen«: mit Arbeitskollegen, Meistern, Technik-Lehrern, Kunden. Auch Fachbeiträge u. Ä. sind wirkungsvolle Sprachbildner. 

In der Reihe Wege zu gutem Deutsch im technischen Unterricht wird der tec. LEHRERFREUND fachsprachliche Eigenheiten näher betrachten. Sie ist auch als Hilfe für Auszubildende gedacht, deren Muttersprache nicht das Deutsch ist. 

In den naturwissenschaftlich-technischen Fächern ist es naheliegend und deshalb üblich, den Unterricht praktisch auszurichten, etwa mit Vorstellungshilfen wie Modellen, Schaltungsaufbauten usw. Schüler, deren Stärke nicht in der Sprache liegt, empfinden diese Art der Auseinandersetzung mit einem Stoff immer als Entspannung im Vergleich zu den Anstrengungen, die ihnen sprachlastige Fächer abverlangen. Allerdings – ohne Sprache geht es auch im Technikunterricht nicht. Das gilt verstärkt für technische Schülervorträge; Ziel der folgenden Beiträge ist es, solche Vorträge zu üben. 

Welche Aufgaben sind zu lösen?
Aufgabe: 
– einen Dübel beschreiben  
Schüler: 
– beschreibt den Dübelaufbau; beachtet sprachliche Eigenheiten, Fachbegriffe usw. 
Lehrer: 
– führt in Grundsätzliches ein, bereitet Arbeitsblatt vor (s. Beitrag 2).

b) Sprachbeispiele 

Man kann feststellen: Die Schraube muss angezogen werden.
Man könnte dafür auch sagen: Die Vorspannung der Sechskantschraube reicht nicht mehr aus.  
Der Fachbegriff Vorspannung enthält Informationen, die den Fachmann sofort an ein bestimmtes Drehmoment denken lassen und dessen Größe oft vom Maschinenhersteller vorgeschrieben wird. Hier ist ein Drehmomentschlüssel gefragt, mit dem ein bestimmtes Drehmoment eingestellt werden kann. Gleichzeitig wird den Fachmann die Schraubenfestigkeit beschäftigen. 

Oder ein Experte stellt fest: Mit der Spannung stimmt etwas nicht. Man muss sie prüfen. 
Er könnte es auch so formulieren: An der Stelle X fällt die Spannung ab, weshalb sie vor und nach X geprüft und die beiden Werte miteinander verglichen werden sollten. Der Fachmann wird ein Kontaktproblem beim Stromübergang zwischen zwei Teilen vermuten.

Das Beschriebene macht deutlich, welchen Vorteil die Fachsprache hat: Sie umreißt eine Situation präzise und erlaubt es damit, den Grund für ein technisches Problem schnell ausfindig zu machen.

c) Wie technisches Deutsch lernen?

Es ist eine Erfahrung, dass Schüler oft kein Problem damit haben, etwa eine selbst aufgestellte Messreihe auszuarbeiten. Wenn sie sie aber ihrer Klasse vorstellen sollen, fehlen ihnen die richtigen Worte darüber, wie sie zu ihren Messwerten gelangt sind, was sie bedeuten und welche Schlüsse daraus zu ziehen sind. Was aber tun, wenn dieser Mangel offensichtlich wird?  
Kein Zweifel: Schüler müssen die technische Sprache lernen, die sie im Technikunterricht und in der Praxis benötigen. Es wäre ein großer Gewinn, wenn sie übergreifend in allen technischen Fächern gelehrt würde. 

Die folgenden LEHRERFREUND-Beiträge bieten Hilfestellungen dafür an und vertiefen sie anhand praktischer Beispiele, Skizzen und Zeichnungen.

Wir werden dabei beispielhaft auf Fächer übergreifende Leistungen eingehen wie  
– technische Einrichtungen und Vorgänge analysieren und beschreiben  
– Experimente beschreiben 
– Konstruktionen beschreiben. 

Der Anteil an Fachbegriffen ist in den naturwissenschaftlich-technischen Berufen sehr hoch. Kurz beschrieben sind dies: 

Unbekannte bzw. schwierig zuzuordnende Fachnomen (z. B. das Drehmoment, die Spannung),

Adjektive, die die Eigenschaften von Bauteilen und Werkstoffen beschreiben (z. B. kaltzäh, kristallin). 

Auch eine Vielzahl von fachspezifischen Verben  gehört dazu, die die Schüler aus ihrem Alltag nicht kennen. Sie stehen für technische Vorgänge (z.B. honen, anlassen) und verlangen daneben manchmal ungewohnte Präpositionen (z. B. Metall in Kunststoff einbetten). 

Lehrer müssen sich deshalb auf den Fachwortschatz eines Unterrichtsthemas einstellen und überlegen, welche Fachwörter die Schüler am Ende beherrschen sollten. 

Wir gehen hier von der Beschäftigung mit der Fachsprache im Berufsschulunterricht aus. Ob gleichzeitig die Bedeutung der Wortarten (Verb, Substantiv, Adjektiv, Pronomen, Konjunktion, Adverb, Präposition, Artikel) geklärt werden sollen, bleibt dem Lehrer vorbehalten. 

Eine fachliche Voraussetzung für die Bearbeitung der folgenden Beiträge sind fortgeschrittene Kenntnisse im Technischen Zeichnen

Das oben Gesagte sei an einem praktischen Beispiel verdeutlicht. Wir betrachten einen Schwerlastdübel des Herstellers Fischer. Dabei ist es unabdingbar, mit anschaulichen, die Sprache stützenden Zeichnungen zu arbeiten. 

Zum Thema »Schwerlastdübel« wird eine technische Analyse verlangt. 

Man könnte auf folgende Fragen eingehen (Bild): 

a) Fachliche Analyse

– Wo wird der Schwerlastdübel im Gegensatz zu einem »normalen« Kunststoffdübel eingesetzt? 
– Aus welchen Einzelteilen besteht er? 
– Welche Aufgabe hat der Konus? 
– Welche Form hat ein Konus? 
– Welche Aufgabe hat der Kunststoffring? 

usw.

b) Sprachliche Analyse

Ursachen und Lösungen sprachlich darstellen. Beispiele: 

1. Konjunktion  
Beim Anziehen der Spannschraube drehen sich die äußeren Dübelteile nicht mit, weil ...    
2. Adverb: Der Schwerlastdübel besteht aus Stahl. Deshalb überträgt er hohe Kräfte. 

Die richtigen Verben und Adjektive finden: anziehen, verdrehen, spreizen, konisch usw.

Aufgabe: Die drei Verben (hier im Infinitiv) sollen ins Passiv 3. Person Singular gesetzt werden. 

Was es mit der Darstellung im Passiv auf sich hat, besprechen wir in 3. Wortschatz im technischen Unterricht: Sprachliche Eigenheiten 


Lösungsvorschläge  

a) Fachliche Analyse

– Wo wird der Schwerlastdübel im Gegensatz zu einem »normalen« Kunststoffdübel eingesetzt? 

Schwerlastdübel, auch als Stahlanker bezeichnet, verbaut man ausschließlich in Beton. Weil die die Last tragenden Dübelteile aus Stahl bestehen, sind sie von vorneherein belastbarer als Kunststoffdübel. Nur Beton ist so druckfest, dass das Dübelsystem auch bei sehr hohen Belastungen tragfähig bleibt.

– Aus welchen Einzelteilen besteht er? 
Spannschraube, Hülse, Konus, Spreiz­hülse, Kunststoffring 

– Welche Aufgabe hat der Konus?  
Er spreizt die aus Stahl bestehende Spreizhülse.

– Welche Form hat ein Konus?  
Er ist kegelförmig.

– Welche Aufgabe hat der Kunststoffring?  
Der Kunststoffring verhindert beim Anziehen des Ankers ein Mitdrehen des gesamten Dübels.

2) Die drei im Infinitiv stehenden Verben sollen ins Passiv 3. Person Singular gesetzt werden: 

anziehen: wird angezogen  
verdrehen: wird verdreht 
spreizen: wird gespreizt


Fachbegriffe: Überfordern sie Jugendliche?  

Es ist eine nicht zu unterschätzende Leistung, während der beruflichen Ausbildung nachzuholen, was die Zeit des Spracherwerbs als Kleinkind aussparen musste. Aber mit den vielen schwammigen »Teilen«, »Zeugs« und »Dings«: das Kneifdings, die Halteteile – aus Verzweiflung vielleicht zum Halte»pfusch« erniedrigt – dieses Verbrennungsdings, der Dingsbohrer, das Färbezeug usw. – mit solchen Umschreibungen, mögen sie manchmal originell klingen, kommt die werdende Fachkraft nicht weiter. 

Wir wollen hier nicht unterschlagen, dass unzählige Fachbegriffe von Menschen wie Du und ich geschaffen oder übernommen wurden und deshalb nicht immer der Weisheit letzter Schluss sind. Nehmen wir einige davon aus der Kfz-Technik. Limousine, Kabriolett und Coupé stammen aus der französischen Sprache, Dumper und Scraper sind Amerika-Import, typisch deutsch mit 32 Buchstaben ist die Straßenverkehrszulassungsordnung; immerhin darf sie zusammengequetscht werden zu es-te-vau-zet-o. Wer umestern, Fettsäuremethylester und CO-Shift lernen muss, ist ein armer Kerl. Aber er darf sich auch über anschauliche, deutsche Einfälle freuen wie: Totpunkt, Kurzhuber, mager – fett (bei Kraftstoffgemischen). 
Trotzdem ist die Befürchtung unbegründet, der fachliche Sprachwortschatz sei zu umfangreich für junge Menschen am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn. In Deutschland gibt es 2015 über 300 Ausbildungsberufe (Quelle Bundesministerium für Wirtschaft und Energie), die sich auf alle Wirtschaftsbereiche aufteilen. Geht man von geschätzten 30 000 in der ganzen Ausbildungszeit und in allen Fächern zu erlernenden Fachbegriffen aus, dann bleiben für jeden Beruf durchschnittlich hundert davon. 

Fremdwörter, die die deutsche Sprache täglich neu belasten, haben wir dabei gar nicht berücksichtigt; ihnen werden wir aber im sechsten Beitrag nachspüren. 


Fachbegriffe in diesem Beitrag 

Nomen: Schraubenfestigkeit, Spannungsfall, Schwerlastdübel, Konus, Drehmoment, Stromübergang

Verben: anziehen (Schraube), honen, anlassen, einbetten, 

Adjektive: konisch

Sprachliche Fachbegriffe 
Verb, Substantiv, Adjektiv, Pronomen, Konjunktion, Adverb, Präposition, Artikel, Passiv, Aktiv 


Didaktische Überlegungen  

Beim Lernen der Fachsprache gehen wir davon aus, dass Auszubildende vom Fachwortschatz und von fachlichen Redewendungen umgeben sind. Täglich haben sie mit Objekten, Arbeitsverfahren usw. zu tun und lernen deren genaue Bezeichnungen in der Zusammenarbeit und der Auseinandersetzung mit Vorbildern wie Arbeitskollegen, Meistern, Lehrern kennen.  
Eine gute Hilfe für das Üben des Fachwortschatzes ist der technische Vortrag. Da »Technik und Sprache« kein gesondertes Lehrfach ist, sollte das Anliegen als Stoff übergreifendes Prinzip an möglichst vielen Stellen in den Unterricht eingebaut werden. 


In den folgenden Beiträgen lesen Sie:
2. Wortschatz im technischen Unterricht: Technische Analyse
3. Wortschatz im technischen Unterricht: Sprachliche Eigenheiten 
4. Wortschatz im technischen Unterricht: Technisches Experiment  

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