Festigkeitsberechnungen (6): Abscherung 09.05.2012, 07:02

Festigkeitsberechnung: Abscherung, Vorschaubild

Bei einer Beanspruchung auf Abscherung entstehen in einer Querschnittsfläche Spannungen, die parallel zur angreifenden Kraft liegen.

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Abscherbeanspruchung (Abscheren)

Abscherung_Kraefte

Die äußeren Kräfte wirken senkrecht zur Stabachse. Sie versuchen die beiden Schnittufer parallel zueinander zu verschieben. Die innere Kraft F liegt parallel zur Schnittfläche, dabei entstehen Schubspannungen τ (griech. Buchstabe tau = Abscherspannungen). Auf Abscherung beanspruchte Bauteile dürfen nicht zerstört werden. Ausnahme: Beim Schneiden von Blechen findet eine Werkstofftrennung statt. Bei der Auswahl der Spannungsgrenzwerte ist zu prüfen, ob es sich um eine Abscherung oder ein Schneiden handelt.

Bezeichnungen:

F  Scher-, Schneidkraft         N
S  Querschnittsfläche           mm2
τa Scherspannung                N/mm2   (τ = tau, griech. Buchstabe)
τaB Scherfestigkeit                N/mm
τaB max maximale Scherfestigkeit      N/mm2

Rm max maximale Zugfestigkeit          N/mm2
ν Sicherheitszahl (ν = nü, griech. Buchstabe), ohne Einheit

Die Querschnittsfläche S besteht aus der Summe der Scherflächen, die beim Durchtrennen Bruchflächen ergeben. 
 

Abscherung_zweischnittig_440.png

Beanspruchung auf Abscherung

Durchgeführt werden die Festigkeitsberechnungen mit den durch Versuche ermittelten oder Tabellen entnommenen Scherfestigkeiten τaB. Für Stahl gilt näherungsweise auch τ0,8 • Rm

Formeln zusammengefasst:

Scherspannung τa = F : S 

Zulässige Scherspannung τa zul = τaB : ν

Scheidkraft F = S • τaBmax

Maximale Scherfestigkeit τaBmax  = 0,8 • Rm max

Berechnungsbeispiel
Bild oben:  Mit welcher Scherkraft F wird der Bolzen aus S275J2G3 in der zweischnittigen Verbindung belastet? Gegeben: Bolzenquerschnitt S = 201 mm2; Scherfestigkeit τaB = 440 N/mm2; Sicherheitszahl ν = 1,6. 

Lösung:

F = 2 • S • τazul   

τazul = τaB : ν = 440 = N/mm2 : 1,6 = 275 N/mm2

F = 110 550 N = 110,55 kN

Schneiden von Werkstoffen (Bild unten)
Zur Berechnung der Schneidkraft F ist die maximale Scherfestigkeit τgB max einzusetzen. Ist diese nicht bekannt, kann man näherungsweise auch mit der Zugfestigkeit rechnen: τgB max = 0,8 • Rm max

Beispiel: Eine Scheibe mit einem Durchmesser d = 24 mm wird aus Stahlblech S275J2 mit einer Dicke s = 4 mm ausgeschnitten (Bild). Die Zugfestigkeit Rm max dieses Stahles liegt zwischen 410 N/mm2 und 560 N/mm2. Welche Scherkraft F muss aufgebracht werden? 

Lösung:

Scherkraft F = S • τaBmax

Scherfläche S = Umfang U • Dicke s = π • d • s = 

S = π • 24 mm • 4 mm = 301,6 mm

F = 301,6 mm2 • 0,8 • 560 N/mm2 =  

F = 135 117 N = 135,1 kN

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Kommentare

11

Zum Artikel "Festigkeitsberechnungen (6): Abscherung".

  • #1

    Hallo.

    Kann mir jemand sagen ob es auch eine Faustformel für die Berechnung der Scherfestigkeit von Kunststoffen gibt?
    Würde die Scherfestigkeit von PP, PE-LD, PE-HD, BOPP und Rafia benötigen…
    Oder muss ich den Schneidvorgang bei Kunststoff generell anders berechnen? Z.B. mit einem dehnungsbezogenen Ansatz?

    Danke und LG

    schrieb Jakob am

  • #2

    Hallo Herr Willner,

    da fragen Sie uns was! Etwas Sicheres konnten wir leider nicht finden. Aber man könnte sich ja annähern. In solchen Fällen hilft oft die Betrachtung eines mittleren Zustands.
    Einigermaßen sicher ist dies: Wenn die Spitzen des umgekehrten V auf dem Papierstapel aufsetzen, ist die Scherkraft noch gering, die Stempelbelastung (Druckspannung) in den Spitzen aber hoch. Je mehr Schneidenanteile am Schneidprozess beteiligt werden, d. h. je tiefer der Stempel ins Papier eindringt, desto größer wird die Scherkraft, während die Belastung an der Spitze abnimmt. Mit dem Austreten des Stempels aus dem Papierstapel geht die Schneidkraft rapide zürück.
    Was soll man damit anfangen?

    Man könnte annehmen: Bildet das V einen Winkel von 60°, ist die mittlere Schneidkraft schätzungsweise 50% der Schneidkraft bei stumpfem Stempel. Ist der Winkel 90°, mögen 70% in Ordnung sein – so wie Sie es irgendwo gelesen haben. 
    Am allerschönsten wäre ein praktischer Versuch mit Stempel, Papierstapel und schönen Kraftmesseinrichtungen.
    Das wird Sie nicht befriedigen, doch wir können Ihnen leider nichts Besseres anbieten. Vielleicht weiß uns aber ein stempelerfahrener Leser mehr darüber.

    Mit den besten Grüßen
    tec. LF

    schrieb tec. LEHRERFREUNDc am

  • #3

    Hallo tec.LF,

    ich habe eine Frage zur Abscherung.
    Ich habe die Aufgabe bekommen bei einem Locher die Schneidkraft F zu berechnen.  Gegeben habe ich den Durchmesser d=6mm und die Stapelhöhe s=3mm des Papierstapels. Außerdem τaBmax=20 N/mm². Als Ansatz würde ich jetzt so rechnen wie im 2. Beispiel.
    Da aber die Schneide beim Locher (umgekehrt) V-förmig eingekerbt ist, wie verhält sich dann die Kraft. Ich meine irgendwo gelesen zu haben, dass sich die Schnittkraft bei Schräganschliff auf etwa 0,7 der Schnittkraft für Parallelanschliff sinkt. Oder gibt es da eine zusätzliche Berechnung wenn jetzt der Schrägschliff 1mm tief ist?

    Mit freundlichen Grüßen

    schrieb Willner am

  • #4

    Hallo Herr Horbach,

    taB ≈ 0,8 ∙ Rm scheint einfach ein Erfahrungswert zu sein. Vielleicht weiß es ein anderer tec.LF-Leser besser.
    Beachten: 0,8 gilt für niedrigfeste, zähe Stähle; bei hochfesten Stählen geht man eher in Richtung 0,6.

    Gruß
    tec.LF

    schrieb tecLEHRERFREUND am

  • #5

    Hallo tec. LF,

    Aus welchen Norm kommt die Angabe der Festigkeit 0,8Rm,max?

    Gruß

    schrieb Horbach am

  • #6

    Hallo Herr Günther,

    für die Zugfestigkeit bei Stahl werden oft Minimal- und Maximalwerte angegeben: Rm min (N/mm2) und Rm max. Davon ausgehend gibt es für die Scherfestigkeit einen Näherungswert:
    Beanspruchung auf Abscherung taB = 0,8 . Rm (das Material wird nicht geschitten).
    In Ihrem Fall gilt also für den Bolzenwerkstoff taB = 0,8 . 1100N/mm2 = 880 /mm2.
    Entsprechend gilt für das Abscheren taB max = 0,8 . Rm max.

    Biegespannungen sind Zug- und Druckspannungen. Dabei entsteht die stärkste Beanspruchung in den Randfasern des Biegequerschnitts. Die Festigkeitsberechnung berücksichtigt die Querschnittsform und die Abstände der Randfasern von der neutralen Biegefaser.

    Gruß
    tec.LF

    schrieb tec. LEHRERFREUND am

  • #7

    Eine Frage zu den guten Abscherbeispielen:
    Wie kann man für einen Bolzenwerkstoff z.B. 42CrMo4 aus der Zugfestigkeit (1100 N/mm2) die Scherfestigkeit und Biegefestigkeit ableiten?
    Gibt es da Faustformeln?

    schrieb Joachim Günther am

  • #8

    Hallo Michael,

    wird ein Rohrquerschnitt auf Scherung beansprucht, dann ist die Scherfläche eine Kreisringfläche.

    Was verstehen Sie unter Flächenträgheit?

    Grüße
    tec.LF

    schrieb Der Lehrerfreund am

  • #9

    Hallo ;)

    Vielen Dank für die Erklärung schonmal.
    Eine Frage hätte ich allerdings noch.

    Wenn ich statt des Vollzylinders im ersten Fall einen Hohlzylinder/Rohr habe, wie groß ist dann meine Querschnittsfläche?
    Ist das dann nurnoch die Fläche des Kreisrings? Oder trotzdem noch die volle Fläche?
    Muss ich da dann eine veränderte Flächenträgheit beachten?

    Vielen Dank schonmal im Vorraus.

    Mit freundlichem Gruß

    Michael

    schrieb Michael Leue am

  • #10

    Hallo Herr Koppenhöfer,

    vielen Dank.
    Ihre Rechnung ist korrekt. Wir haben das Ergebnis richtig gestellt.

    Grüße
    tec.LF

    schrieb tec.LEHRERFREUND am

  • #11

    Das Beispiel zur Abscherung eines Bolzens auf Ihrer Homepage kann ich nicht nachvollziehen. Mit den gegebenen Werten müssten lt. Ihrer Formelsammlung 2*201mm²*275N/mm² = 110550 N heraus kommen. Oder habe ich da was übersehen? Ich freue mich auf Ihr Feedback.
    Mit freundlichen Grüßen
    Claus Koppenhöfer

    schrieb Claus Koppenhöfer am

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